Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[71] An Frau von Epinay

Neapel, den 22. Juni 1771

Ich habe, schöne Frau, zwei Briefe von Ihnen gleichzeitig erhalten, und der Brief, der vorige Woche ausblieb, hat mich doch mein Geld gekostet, wie wenn er mit der Post gekommen wäre. Sie werden also, bitte, Magallon sagen, Herr de Fuentes dürfe immer nur einen einzigen Beischluß für mich machen; denn wenn man mir zwei schickt, liefert man mir immer nur einen kostenlos aus, und zwar stets den dünnsten, und läßt mich für den anderen bezahlen. Dies also ein für alle Male.

Jetzt zum Inhalt Ihrer Briefe: sie sind schön, reizend, lang und voll von Einzelheiten, die mich interessieren. Sie haben Voltaire in seiner Predigt erkannt? Ich erkenne darin nur ein Echo des seligen Herrn von Voltaire. Ach! er quatscht jetzt zu sehr! Seine Katharina ist ein Hauptweib, weil sie unduldsam und eroberungssüchtig ist; alle großen Menschen sind unduldsam gewesen; und man muß es auch sein. Begegnet man auf seinem Wege einem Fürsten, so muß man ihm Toleranz predigen, damit er in die Falle geht und die vernichtete Partei, dank der ihr bewilligten Duldung, Zeit gewinnt, sich wieder zu erholen und nun ihrerseits ihren Gegner zu vernichten. Also ist die Predigt über Toleranz eine Predigt für Dummköpfe und Betrogene, oder für Leute, die gar kein Interesse an der Sache haben. Nur in einem Fall darf ein weltlicher Herrscher zuweilen Duldsamkeit walten lassen: wenn die Sache die Priester betrifft, aber den Herrscher nichts angeht. Aber in Polen sind die Bischöfe zugleich Priester und Fürsten, und wenn sie können, werden sie sehr gut daran tun, die Russen aus dem Lande zu jagen und alle Andersgläubigen zum Teufel zu schicken. Und Katharina wird sehr gut daran tun, die Bischöfe zu zermalmen, wenn es ihr gelingt. Ich glaube das freilich nicht; ich glaube, die Russen werden indirekt die Türken vernichten und werden die Polen aufwecken und groß machen, wie Philipp II. und das Haus Österreich Deutschland und Italien zugrunde richteten, als sie Frankreich stören wollten und dadurch Ihre Nation nur um so glänzender machten. Das sind meine Prophezeiungen.

Der Kummer, den die Helvetiussche Familie hat, tut mir leid. Sie hätten ihrer Tochter einen Mann geben sollen, sobald die Hysterie sich bemerkbar machte.

Es geht mir heute abend gar nicht recht gut; ich bin erkältet und obendrein traurig und im höchsten Grade gelangweilt. Das einzige, was mir, solange ich hier bin, Vergnügen gemacht hat, ist eine komische Oper von Piccini, die hier jetzt aufgeführt wird; er hat seine Kunst auf den Gipfel der Vollendung gebracht. Durch ihn habe ich begriffen, daß wir immer und überall singen, wenn wir sprechen. Die Schwierigkeit ist, Ton und Klangfarbe unseres Sprechens zu treffen. Glauben Sie mir, diese Piccinische Oper ist etwas, wovon Sie nicht einmal einen Begriff haben, so weit ist sie allem überlegen, was Sie je gehört haben. So oft ich in diese Oper gehe, überfällt mich ein so lebhafter Wunsch, Grimm, Diderot und Sie an meiner Seite zu sehen, daß der Schmerz, Sie nicht hier zu haben, mir fast den ganzen Genuß an der Aufführung stört.

Ich spreche Ihnen nicht von Ihrem Unglück; keins von den kleinsten ist, daß eine gute Prozeßordnung gerade in einer solchen Zeit und von einem solchen Kanzler erlassen wurde, daß man sich aus einem solchen falschen Begriff von Vaterlandsliebe ein Vergnügen daraus macht, sie nicht zu befolgen. Es ist dasselbe Unglück, das das Heidentum hatte, als es von dem Apostaten Julian beschützt wurde. Sankt Cyrill blieb nur deshalb Sieger, weil Julian mehr geistvoll als lebensklug war, und weil er zu plötzlich den Kurs ändern wollte.

Im übrigen: haben Sie mich lieb! Das ist die Hauptsache...


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