Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[97] An Frau von Belsunce

Neapel, den 30. Mai 1772

Madame,

von Mama sind diese Woche keine Briefe da; so sind denn jetzt Sie an der Reihe, und ich muß auf Ihre Epistel antworten; ich sage nicht Brief, sondern Epistel, denn sie gleicht denen des heiligen Paulus, indem sie wie diese weder Ort noch Datum trägt. Das ist eigentlich bequem. Man kann mir nicht vorwerfen, zu spät geantwortet zu haben. Noch eine Ähnlichkeit mit denen des heiligen Paulus: sie ist voll von furchtbaren Gleichnissen. Ich sehe darin ein verhaltenes Fieber, das mit einer knurrigen Miene aufgenommen wird, und das alles ist ebenso hebräisch wie die Vision des kleinen Propheten, der Baron von Gottes Gnaden ohne Baronin und ohne Baronie. Letzte Ähnlichkeit: sie macht mich jetzt traurig wegen Mamas Gesundheit und erheitert mich nur durch ferne Hoffnungen.

Als Antwort hätte ich Ihnen ein kleines Märchen dichten sollen; aber ich bin wirklich ganz stumpfsinnig. Sie wollen das nicht glauben? Nun, Sie werden es verspüren!

Was mich in der öffentlichen Achtung wiederherstellen könnte, wäre die »Geschichte der Katzen«, an der ich jetzt arbeite. Nach meinen Beobachtungen ist bei den Katzen die Vielweiberei seit undenklichen Zeiten erlaubt; ich finde ferner, daß die eheliche Verbindung während der Schwangerschaft verboten ist, nicht aber während des Säugens der Jungen. Dies beweist mir, daß man tuta conscientia eine Amme beschlafen kann, trotz der Meinung der Jesuiten Jamburin, Azorius und Sanchez, die das Gegenteil behaupten.

Ich finde endlich, daß die Galanterie des Katers und seine Verehrung der Damen darin besteht, daß er ihnen den Vortritt gewährt und sie vorausgehen läßt; dabei muß der Schwanz der Katze von Zeit zu Zeit leicht das Maul des Katers berühren.

Hieraus schließe ich, daß wir eigentlich den Damen nicht den Arm geben sollten, sondern... Sie müßten sich dann umdrehen und uns ins Gesicht blasen. Von nun an werde ich den Damen nur nach diesen Grundsätzen den Hof machen.

Üben Sie sich auf diese Methode ein für den Augenblick, wo ich wieder über dem Pariser Horizont auftauchen werde; dieser Augenblick wird kommen, und zwar in wenig Jahren, wenn der Tod sich an die Regel hält und mich nicht vor denen wegholt, die älter sind als ich. Aber was wird man in Paris sagen, wenn man mich völlig zahnlos sieht? Wird man nicht meinen Gesichtsausdruck lächerlich finden? Ich werde den Baron von Grimm sein Urteil darüber abgeben lassen, wenn er hierher kommt; wenn er mir rät, mit meinem um zwei Zoll verkürzten Gesicht wieder zu erscheinen, werde ich nach Paris zurückkommen. Das Papier ist zu Ende. Guten Abend.


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