Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[41] An Frau von Epinay

Neapel, den 15. September 1770

Was wollen Sie von mir, schöne Frau, daß Sie mir schreiben, meine Phantasie und Laune erhitzen und sie auf Stoffe lenken, die den Zufällen eines Briefes anzuvertrauen gefährlich ist? Sie sind Frau und schreiben aus Paris. Ich bin Mann, Abbé, Staatsrat, und schreibe aus Neapel.

Dennoch hatte meine Arbeitslust einen solchen Schwung erhalten, daß ich, nach Empfang Ihres gestrigen Briefes, einen wichtigen Dialog über folgende Frage angefangen hatte: Sind die Schuhe Menschenwerk oder existieren sie in der Natur, unabhängig von den Menschen? Soll man sie abschaffen oder beibehalten? Sind sie für die Füße mehr nützlich oder schädlich? Diese für alle Schuster höchst wichtigen Fragen würde ich gründlich behandelt haben. Aber ich fürchte die Ungeschicklichkeit irgendeines La Condamine, der des Rätsels Lösung hinten auf sein Papier schrieb. Also lassen wirs lieber.

Voltaire hat recht: der Mensch hat fünf Organe, die eigens dazu erschaffen sind, ihm Vergnügen und Schmerz anzuzeigen. Er hat deren kein einziges, um ihm zu zeigen, was an einer Sache wahr, was falsch ist. Er ist also nicht erschaffen, die Wahrheit zu erkennen oder durch Lügen getäuscht zu werden. Das ist gleichgültig. Er ist gemacht, um zu genießen oder um zu leiden: wir wollen also genießen, und wenn möglich, nicht leiden. Das ist unser Los.

Wenn Herr von Sartine sagt, ich habe recht, so hat er also unrecht, und muß es wieder gut machen. Es gibt tausend Mittel, um einen Roubeau zu bestrafen. Wenn ihn nach Bicêtre zu schicken zu ehrenvoll für ihn ist, sintemalen für Ökonomisten und Mücken Leben, Lärm und Ehre gleichbedeutend sind, und man nur durch dichten schwarzen Rauch sie töten muß, so wollen wir den Abbé Roubeau auf die Art bestrafen, die ihn am schmerzhaftesten trifft. Lassen wir ihn wissen, daß ich Danksagungen, Lobeserhebungen, Beifallsbezeugungen erhalten habe und daß damit wenigstens die reinen und geraden Absichten, aus denen mein Buch hervorging, anerkannt worden sind. Ich fühle, daß ich verdiene, was ich von Ihnen erbitte, und ich verdiene es noch mehr, da es sich darum handelt, mir eine Genugtuung zu geben. Ich habe Ihnen schon darüber geschrieben.

Ich habe soeben einen Brief des Barons Holbach erhalten. Wenn Sie ihm mitteilen könnten, daß ich heut abend keine Zeit habe, ihm zu antworten, so würden Sie mir einen Gefallen tun.

Ich habe auch keine Zeit, Ihnen heut abend mehr darüber zu schreiben. Meine Langeweile in diesem Lande nimmt zu im doppelten Verhältnis der räumlichen und zeitlichen Entfernung von Ihnen und meinem lieben Paris. Dies macht mich ganz niedergeschlagen. Im übrigen bin ich durchaus nicht krank; aber es ist schon eine schwere Krankheit, das Leben, das an sich so kurz ist und nicht zum zweitenmal zurückkehrt, nicht zu genießen. Glücklich, wer an Seelenwanderung glaubt! Leben Sie wohl, ich mache Ihnen mein Kompliment über die Wiedererlangung der Briche. Ich umarme Grimm und alle meine Freunde.

Ich fühle Reue und schreibe zwei Worte an den Baron. Bitte übernehmen Sie es, ihm meinen Brief zuzustellen.


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