Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[48] An Frau von Epinay

Neapel, den 24. November 1770

Schöne Frau,

endlich einmal ein langer Brief von Ihnen, auf den ich sehr kurz antworte, aus folgendem Grunde: Ich habe soeben ein zweites Amt erlangt, das mir, ohne jede Arbeit, zweitausend Livres jährlich einbringt: ich bin Handelssekretär. Wir nennen bei unseren Tribunalen Sekretär ungefähr, was Sie Staatsanwälte nennen. Seit einem Monat hat mich diese Angelegenheit beschäftigt, die nun endlich geglückt ist; darum war ich so ohne Laune und ohne Geist. Die Geizigen sind dumm in allem, was nicht Geld ist. Meine Aufgabe war nicht leicht; denn zuerst mußte dieses Amt erledigt sein, und es war noch besetzt. Dann war es unvereinbar mit dem eines Rates; die Unvereinbarkeit mußte aus der Welt geschafft werden. Endlich mußte ich darum nachsuchen und es erhalten, und das war noch das leichteste. Jetzt bin ich also besser imstande, auf Merlins Geld zu warten, und kann Ihnen geistvoll und begeistert schreiben: Veniunt a dote sagittae.

Sie wünschten, ich sollte über Ihre Mißgeschicke lachen; aber das können Abwesende nicht. Die Entfernten sehen immer nur die nackten Dinge, aber niemals deren Farben. Ich sah also, daß Sie fünf Louis d'or und einen Goldreif verloren, daß Ihr Zuckerwerk aufgefressen, eine Uhr zerbrochen war, und daß Sie zehntausend Livres zu bezahlen hatten. Ich wette, Sie werden fröhlicher über die von mir geangelten zweitausend Livres lachen.

Heute abend schreibe ich Ihnen nichts über Getreide und über Ihre Fragen. Wird d'Alembert denn nicht nach Italien kommen? Schade für ihn, wie für Italien. Voltaire hat unrecht, den Philosophen zuzurufen: Kindlein, liebet euch! Das soll man nur zu Sektierern sagen. Man muß es den Ökonomisten, den Jansenisten sagen, die haben es nötig, sich zu lieben: die boîte à Perrette ist der Drehpunkt für alle Sekten. Die Philosophen sind nicht dazu da, einander zu lieben. Die Adler fliegen nicht in Gesellschaft; das soll man den Rebhühnern und Staren überlassen. Voltaire hat keinen Menschen geliebt und wird von keinem Menschen geliebt. Er wird gefürchtet, hat seine Krallen, und das ist genug. Hoch oben schweben und Krallen haben, das ist das Los der großen Genies.

... Machen wir aus den Philosophen keine Sekte, aber verhindern wir, daß der Name unnütz verschwendet wird.

Leben Sie wohl. Ich empfehle Ihnen noch einmal Frau de la Daubinière. Eben kommt Ihre Nr. 31 an, ich wage nicht, das Siegel zu erbrechen; ich fürchte, ich würde sofort darauf antworten.


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