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Neapel, den 30. Oktober 1772
Großer Gott! wann werde ich denn diese Nacht ins Bett kommen! Es ist zwei Uhr nach Mitternacht, und ich fange diesen Brief an. Den Ihrigen erhielt ich heute nachmittag. Ich bekam Lust, ihn zu beantworten; da kamen Leute, natürlich langweilige Leute, mit einem Wort, Neapolitaner. Ich ging aus, zu meinem Staatsminister; denn das ist das einzige Haus, wo ich verkehre. Ich kam nach Hause, und das Denkmal für den Herzog von Sachsen-Gotha fiel mir wieder ein. An Schlaf also nicht zu denken. Ich mußte das Denkmal entwerfen und Ihnen antworten. Also schreiben wir! Schlafen werden wir, wann's Gott gefällt.
Merkur könnte sehr wohl in ein lutherisches Gotteshaus hinein – es sei denn, daß die Herren schwieriger wären als wir. Ich glaube, es gibt einen Merkur auf einem Grabmal in St. Peter. Sicher aber ist, daß auf dem Grabdenkmal des Giulio de' Medici in der Sakristei zu Florenz sich ein Herkules als Symbol der Jugend befindet. Wir haben hier, hinter einem Hochaltar, das berühmte Grab des Sannazar, worauf Apollo und Minerva dargestellt sind. Aber wenn sie keinen Merkur wollen, so müssen wir uns beugen. Ich will nicht schmeicheln; aber glauben Sie mir, es ist schwierig, nach dem Gedanken des Philosophen einen zweiten ebenso schönen, einfachen, edlen, zarten und kräftigen zu finden. Über Ihre Urnen habe ich nicht gelacht; aber es sind Urnen, und wir brauchen heroische Gestalten. Eine Perigorder Pastete gleicht so wenig einem Truthahn wie eine Urne einem hohen Fürsten.
Palaeokatheder hat vielleicht recht mit seiner Ansicht, daß man den Scheiterhaufen besser in Basrelief darstellen könnte. Die Flammen sind wirklich schwer in einem Marmorrelief wiederzugeben. Außerdem finde ich, Ihr Grabdenkmal würde wie ein Jagdfrühstück aussehen. Man würde die Urnen für Kochtöpfe ansehen, den Scheiterhaufen für Brennholz und den Vogel Phönix für ein Huhn, das eben gebraten wird.
Sie fragen mich nach meinem Urteil und nach meiner Meinung. Man will etwas Antikes und etwas Einfaches. Nun, da bin ich in der Lage, Sie auf etwas recht Einfaches und recht Antikes hinzuweisen. Aber es wird weder etwas Neues sein – denn es ist ja antik – noch etwas Sinnreiches – denn es ist ja einfach – noch etwas Originales – denn man verlangt ja Kopien. Es steht fest, daß die Alten auf Grabmälern für Mann und Frau diese Figuren stets halb liegend auf dem Sarkophag dargestellt haben, und zwar bald nebeneinander, bald einander gegenüber; letzteres kommt am häufigsten vor, und es ist um so begreiflicher, da es eine bessere Wirkung hervorbringt. In diesem Sinne habe ich eine Zeichnung von dem Grabmal entworfen, und um Sie auch einmal zum Lachen zu bringen, schicke ich Ihnen den ersten Entwurf und außerdem die ausgeführte Zeichnung. Ich muß selber lachen, indem ich meine Art und Weise des Zeichnens sehe. Aber Sie wissen ja, alle meine Glieder hantasie gehorchen wollen. Soviel ist sicher: es gibt auf der ganzen Welt keinen Maler, der so schnell arbeitet wie ich. Doch genug von dem Lobe meiner Talente. Ich fühle, meine Zeichnung bedarf recht sehr einer erläuternden Beschreibung. Ich stelle also Herzog und Herzogin liegend dar; sie reichen sich die Hand. Dies bedeutet die Beständigkeit ihrer ehelichen Liebe und weist zugleich darauf hin, daß die Herzogin ihrem Gemahl den Streich gespielt hat, ihn nach sich ins Grab zu ziehen. Die Herzogin hat eine Hand erhoben und zeigt mit einem Finger nach dem Himmel, zu dem das Paar emporsteigen soll; zugleich deutet sie damit die Einheit Gottes an, in den man Vertrauen haben müsse. Sie schlägt nämlich die Augen zum Himmel auf. Der Herzog sieht sie mit gerührter Miene an und reicht seinem Lande die Hand zum Abschiedskuß. Das Land, das durch einen weinenden Genius versinnbildlicht wird, küßt ihm zärtlich die Hand und scheint ihn zurückhalten zu wollen. Mit der anderen Hand hält der Herzog das Wappen von Gotha usw. Auf der anderen Seite neben der Herzogin steht ein anderer Genius, der das Gesicht mit einem Tuch verhüllt hat und in der einen Hand eine umgedrehte erloschene Fackel hält; mit dem anderen Arm umschlingt er das Grab, das die teure Asche enthält; dieser Genius ist die kindliche Liebe. Das Grab ist einfach, von attischem Stil; die Inschrift befindet sich in der Mitte. Das Ganze ruht auf zwei Sockeln, von denen der eine mit Widderschädeln und antiken Kranzgewinden geschmückt ist; der untere Sockel hat nur ein antikes Ornament von zerbrochenen Stäben. Wenn Sie es hübsch zeichnen lassen, werden Sie sehen, daß das Ganze eine schöne Wirkung ausübt und sehr harmonisch ist; denn die Figuren sind zwar einfach, aber sie stehen doch in Kontrast zueinander. Hieran habe ich zwei Stunden gearbeitet. Ich habe die Inschrift beigefügt, und diese ist bei weitem besser als meine Zeichnung. Wenn der Fürst Kenner ist, wird er kein Wort daran ändern. Die Daten und Jahreszahlen der Todestage sollten an den Seiten des Monuments angebracht werden, um die Inschrift nicht zu verlängern und ihr nichts von ihrer lakonischen Majestät zu nehmen. Doch nun genug von den Toten.
Sie tadeln mich, daß ich zuweilen gegen Magallon oder andere verdrießlich sei; aber wissen Sie auch, daß es überhaupt das allergrößte Wunder ist, wenn meine Briefe nicht voll von übler Laune sind? Kann ich nach Paris schreiben, ohne an Paris zu denken? Und kann ich daran denken, ohne verdrießlich zu werden? Magallon schreibt mir diese Woche: um mich zu trösten, will er mir einreden, Paris sei ganz und gar verändert. Aber solange meine Freunde dort leben, wird es für mich nicht verändert sein!
Die Zeremonie, die Mademoiselle Clairon mit der Voltaireschen Statue veranstaltet hat, erinnert an eine eigentümlich groteske Pantomime, die mir nicht gefällt. Man hätte sich auch nicht anders benehmen können, wenn man im Foyer der Comédie ein Standbild des Gottes Priap eingeweiht hätte. Dies alles ist überflüssig; solange wir nicht aus einer Theateraufführung eine gottesdienstliche Handlung und aus Freudenmädchen Priesterinnen machen, werden wir nicht aus einem Tragödiendichter einen Helden machen, dem man Standbilder setzt.
Sie schreiben mir das Allerneueste und Allererstaunlichste: in meinem Gespräch über die Frauen sei eine Stelle, durch die Thomas – dessen Buch ich nicht gelesen habe – und Madame Necker sich verletzt fühlen könnten. Ich schwöre Ihnen, ich habe solche Absicht nicht gehabt. Dreihundert Meilen und drei Jahre sind große Zwischenräume. Da ich keine Abschrift von meinem Gespräch zurückbehalten habe, so weiß ich nicht, was drin stand. Es steht bei Ihnen, zu streichen, was Sie wollen, die Hälfte oder einzelne Stellen, und Sie können mir keinen größeren Gefallen tun, als wenn Sie alles daraus entfernen, was meine wahren Freunde verletzen könnte. Ich erinnere mich, es kam darin eine Stelle vor, daß in meinem Gespräch nichts von dem stehe, was Herr Thomas gesagt habe. Aber der Hieb geht viel mehr gegen mich als gegen ihn. Ich möchte viel lieber das sagen, was Thomas sagt, als daß er meine Ideen aussprechen möchte. Ich glaube daher nicht, daß Ihnen dies beleidigend erscheint. Übrigens streichen Sie alles, was Sie wollen – ich bitte Sie darum. Sie wissen ja, daß es mir angenehm wäre, wenn meine Briefe von allen meinen Freunden mit eigenen Augen gelesen würden. Dies ist keine Eitelkeit von mir, sondern ich wünsche es, weil ich in ihrem Gedächtnis fortleben möchte; weil ich zwar in Neapel esse, aber immer in Paris lebe und dort leben werde, so sehr ich nur kann. Von meiner Seite also besteht keine Schwierigkeit, daß man alles lese, was ich Ihnen schicke – mit Ausnahme dessen, was die Frommen verletzen könnte; denn das sind gefährliche Leute, die ein Italiener noch mehr schonen muß als ein Franzose.
Na, jetzt muß ich aber wirklich zu Bett gehen. Guten Abend.