Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[111] An Frau von Epinay

Neapel, den 2. Januar 1773

Schöne Frau,

der französische Kurier ist diese Woche nicht angekommen; aber ich schulde Ihnen eine Antwort auf Nr. 17; denn Nr. 16 erwarte ich noch erst durch Herrn de Fignatelli. Vorige Woche hatte ich zuviel Ärger und Sorgen, um Ihnen schreiben zu können; diese Woche habe ich ebenso viele, abgesehen davon, daß ich meinen Kater wieder bekommen habe, der verschwunden war, indem er hinter Straßenkatzen hergelaufen war. Meine übrigen Ärgerlichkeiten sind ungefähr von derselben Sorte, aber in ihrer Gesamtheit sind sie schrecklich. Ach, wie scheußlich ist das Nichts! Da hat man sich die Köpfe darüber zerbrochen, was der Teufel, die Hölle usw. wäre: es ist das Nichts, das Gegenteil vom All, das heißt Gott. Wer nicht das Nichts gekostet hat, wird mich nicht verstehen; aber ich selbst verstehe mich sehr gut. Man vergleiche Paris und Neapel, da wird man eine leichte Skizze vom »All« und vom »Nichts« sehen; und dann komme man zu mir und bestreite mir dieses!

Sie haben mir einen Beschluß des Ministerrates über das Getreide geschickt. Wenn das den Streit und den Verkauf meines Buches wieder aufleben ließe, so würde es mich sehr interessieren: ich würde eine neue Auflage veranstalten und dieser ein Gespräch in Form einer Apokalypse hinzufügen; aber ich befürchte sehr, ich habe die Ökonomisten zu früh tot gemacht. Ich hätte erst vorher lange mit ihnen spielen sollen wie die Katze mit der Maus, und dann erst zubeißen. Wie stehen sie jetzt eigentlich? Sie haben mir seither niemals mehr etwas über sie geschriebein. Gibt es noch eine »Ephemeride«? Übrigens teile ich Ihnen hiermit, schöne Frau, den Plan meiner Apokalypse mit: der König spielt sein Spiel, die Parlamente spielen ihr Spiel; beide haben recht. Die Monarchie beruht ihrem Wesen nach auf der Ungleichheit der Stände, die Ungleichheit der Stände auf dem niedrigen Preis der Lebensmittel, der niedrige Preis auf den Zwangsmaßregeln. Völlige Freiheit führt zu Teuerung der Lebensmittel und zu Reichtum der Bauern. Der reiche Bauer stellt sich nicht mehr zur Miliz, läßt sich nicht mehr willkürliche Steuerauflage, Beschlagnahme von Schmuggelware usw. gefallen; er hat die Kraft, sich nicht mehr mit Füßen treten zu lassen: er empört sich entweder, oder er klagt vor Gericht, und er hat Geld genug, um Prozesse gewinnen zu können. Er führt also die republikanische Staatsform ein und schließlich die Gleichheit der Stände, deren Zerstörung uns sechs Jahrtausende gekostet hat.

Aber welche der beiden Staatsformen ziehen Sie denn vor? wird man mich fragen. Ich liebe die Monarchie, weil ich mich der Regierung viel näher fühle als dem Pflug. Ich habe fünfzehntausend Livres Einkünfte, die ich verlieren würde, um Bauern zu bereichern. Mache ein jeder es wie ich und spreche er, wie seine Interessen es erfordern, so wird man sich auf der Welt nicht mehr streiten. Der Sprachwirrwarr und der Lärm kommen daher, daß ein jeder für die Sache der anderen redet und niemals für seine eigene. Abbé Morellet redet gegen die Priester, Helvétius gegen die Finanzleute, Baudeau gegen die Faulenzer, und alle reden zum Allerbesten des Nächsten. Hole die Pest den Nächsten! Es gibt keinen Nächsten. Sagt, was ihr braucht, oder schweigt! Leben Sie wohl.


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