Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[21] An den Grafen Schomberg

Neapel, den 19. Mai 1770

Aha, mein lieber Graf! Also das ist's! Sie schreiben mir einen schönen Brief; eine Masse Liebenswürdigkeiten, viele Lobsprüche, die Ihnen aus dem Herzen kommen, zuviel Bescheidenheit, zuviel Selbsterniedrigung (die wirklich nicht berechtigt ist); Sie kehren sich nach rechts und links, und worauf zielt dies ganze kleine Manöver ab? Sie wollen mir die Würmer aus der Nase ziehen; Sie wollen das Kirchengeheimnis erfahren, ich verstehe Sie. Wissen Sie, warum Sie mir endlich schrieben? Nicht meine Bitten, nicht die Mahnungen der Frau von Epinay haben Sie dazu bewogen; Sie schrieben mir, weil .... weil ...., nicht wahr, ich habe Sie erraten? .... Weil es Ihnen leid tut, daß Sie nach dem Lesen der »Gespräche« nicht einen Augenblick mit mir plaudern konnten; nun, ich will Sie zufriedenstellen.

Ich habe keine Geheimnisse vor Ihrem Herzen, wie ich nichts Erhabenes für Ihren Geist habe; ich werde Ihnen alles enthüllen, was ich verschweigen wollte, als ich diese »Gespräche« schrieb.

  1. Vor allem: mich unterhalten. Bewilligt.
  2. Dann 100 Louis verdienen. Verweigert.
  3. Meinen Freunden ein Andenken an unsere »Gespräche« hinterlassen. Bewilligt.
  4. Frankreich Gutes tun. Verweigert.

Wie Sie sehen, schreibe ich Ihnen in militärischem Stil; ich bediene mich der cortura. Nun zu der Wirkung, die mein Buch in hellen Köpfen hervorrufen muß:

1. Sie werden gewahr, daß die Frage der Ausfuhr bis zur heutigen Stunde nicht behandelt worden ist; man hatte betrogen, und zwar nicht nur hinterlistig, sondern auch dumm betrogen. Auch dieser Betrug ging, wie Sie wissen, von einem Abbé aus, den dann der Abbé de Boufflers entlarvt hat. Allem, was sich als Gegengrund anführen ließ, war man ausgewichen oder hatte es totgeschwiegen. Das ist unbestreitbar; denn als ich offen und ehrlich alle Gegengründe auseinandersetzte, war man so betroffen und erstaunt, daß man mich für den einzigen, ersten und gefährlichsten Gegner der Ausfuhr ansah und mir daraufhin die gröbsten Beleidigungen sagte, obgleich sicherlich niemand besser oder nachdrücklicher für die Verordnung und die Freiheit der Ausfuhr eingetreten ist. Ich erlebe also den komischen Fall, daß das Publikum, anstatt auf die Betrüger zu schimpfen, sich gegen mich wendet, der alles aufgedeckt hat; darüber könnte ich mich zu Tode ärgern, wenn ich nicht vor Lachen platzen müßte. Nun muß ich eben abwarten, bis man mein Buch zu Ende gelesen hat.

2. Und weiter wird man bemerken: da in dieser minderwertigen Welt und besonders in der Politik alles sich gegenseitig das Gleichgewicht hält, so kann man nichts tun, worin sich nicht gut und böse mischt; daher darf man nicht über Wunder schreien wie die Dummköpfe und Ökonomisten, darf niemals Wunder, Glück und plötzliche Veränderungen versprechen. Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu. Der Abbé Badot hat gut seinen Mund aufreißen und sich an die rechtschaffenen Leute wenden, viel gibt's deren nicht; er hat gut vom »ersten Bedürfnis des Menschen« reden; ich dachte, darunter verstünde er .... aber nein! er spricht von Getreide, und neun Zehntel der menschlichen Zweifüßerart essen keins; daher kein Geschrei, kein Fischweibergeschimpf, keine zweideutigen Beschwerden und andere, »diesem zuwiderlaufende« Erklärungen. Wenn die Ausfuhr erleichtert wird, ohne den gleichmäßigen inneren Verlauf zu stören, so wird Frankreich für eine gewisse Zeit eine gewisse wohltuende Wirkung verspüren; danach wird es damit vorbei sein; aber es wird als Wirkung der ersten Wirkung eine gute Nachwirkung eintreten, und so wird das Gute noch Sohn, Enkel, Urenkel zeugen. So muß man urteilen und denken; viel Ruhe, viel Arithmetik – nichts Unendliches, Unermeßliches. Das sind bloß leere Worte für Dummköpfe.

3. Man wird bemerken – Sie haben es schon bemerkt –, daß man in der Nationalökonomie nichts behandeln kann, ohne, wie Sie es nennen, erhaben zu sein! Hätte ich den Brillenhandel besprochen, so wäre ich ebenso erhaben gewesen, und Sie hätten geargwohnt, daß ich von der Gesetzgebung der vergangenen und kommenden Staaten gepredigt hätte; das sind lauter fixierte Ideen, würden Leute sagen, die nicht an fixen Ideen leiden; und sie hätten recht.

4. Man wird bemerken, daß ...., soll ich es sagen? Jetzt kommt das Staatsgeheimnis, .... Ja, ich werde es Ihnen verraten: wer es wagt, von Grund auf die Einrichtung des Getreideverkehrs in Frankreich zu ändern, der wird, falls es ihm gelingt, zur selben Zeit auch die Regierungsform geändert haben; denn das Vertrauen zwischen Untertanen und Herrscher muß so groß sein, daß eine Hungersnot nicht sofort eine Empörung hervorrufen kann, und dazu nützen Lichter und Pfünzchen des ökonomischen Journals nichts, sondern es bedarf der großen Straßenlaterne des in sich einheitlichen Regierungsapparates, die einen ganzen Vendômeplatz erhellt und beleuchtet. Sie erinnern sich, daß bei den Kornunruhen im Jahre 68 das rasende Volk sogar auf den Herzog von Choiseul schimpfte, der sicher von allen Ministern der unschuldigste und bestmeinende war. So ist man denn noch recht weit davon entfernt, eine freie Ausfuhr festsetzen zu können. Gerade diejenigen, die in enthusiastischer Überstürzung und Unbesonnenheit dahin gestrebt haben, werden die Maßregel zum völligen Scheitern bringen und so Frankreich in die schrecklichste Knechtschaft zurückstürzen. Sie sehen ja schon, wie das Volk bereits den Despotismus um Hilfe anruft. Die Volksmengen, die Parlamente sind es ja, die mit großem Geschrei Ausfuhrverbote verlangen. Ich wollte zum Wohle Frankreichs das gleiche wie die Exportisten; aber ich wollte es secundum scientiam und, um keinen Mißerfolg zu haben, schlug ich eine allmähliche Einführung vor, ein Gesetz zunächst auf zehn Jahre; nach dessen Verlauf werden wachsender Wohlstand und Verminderung der Steuern den Bauern in den Stand setzen, seinen Beschwerden einen Rückhalt zu geben; und die Beschwerden werden genügen, um die Ausfuhr aufrecht zu erhalten. Ich habe dies in meinem letzten Dialog nicht ausdrücklich ausgesprochen; aber lesen Sie ihn nur mit Aufmerksamkeit, so werden Sie es schon herausfinden.

Wenn ich jetzt nicht zu schreiben aufhörte, so würde der Brief heut abend nicht mehr abgehen; daher schließe ich und bitte Sie, mir das unendliche Vergnügen machen zu wollen, mir oft zu schreiben und viel an den denken zu wollen, der auf das innigste mit Ihnen und unsern Freunden verbunden ist.


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