Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[26] An Herrn Suard

Neapel, den 30. Juni 1770

Du hast's gewollt, George Dandin! Anbei die hiesigen Zeitungen, die ich Ihnen immer weiter schicken werde, bis sie Ihnen, ganz abgemattet von dem unnützen Zeug, zum Halse hinaushängen und Sie sich mir zu Füßen werfen, mit der Bitte, sie Ihnen doch bloß nicht mehr zu schicken. Ich hoffe auf diese Weise Ihre Ungläubigkeit zu bestrafen.

Sie haben augenscheinlich darauf gerechnet, daß wir, als nächste Nachbarn von Morea, Ihnen ganz frische Neuigkeiten von den Griechen und den Türken geben könnten. Da sind Sie eingegangen! Wir wissen wahrhaftig nichts, und ich, im besonderen, der ich, dank meinem Amt als sogenannter Delegierter, d. h. als Beschützer der griechischen Station und aller hiesigen Kaffeewirte, mehr davon wissen sollte als die andern, weiß nichts weiter, als daß die modernen Griechen ebensolche Schelme und Lügner sind wie ihre Vorfahren, und daß sie statt Homers Nektar und Ambrosia den abscheulichsten Kaffee der Welt verkaufen. Was möchten Sie übrigens von den Türken wissen? Sehen Sie nicht den neuen Schweifkometen, der uns bedroht? Dieser Komet wird sie noch einen Sieg kosten, denn sie sind dumm genug, um davor Angst zu haben. Sie werden wissen, daß der Großherr in seinem ganzen Reich alle Zauberer und Hexenmeister suchen läßt, um sie bei lebendigem Leibe zu rösten, weil sie die Ursache alles Unheils sind. Dem Großvezier ist es geglückt, einen ausfindig zu machen, den er sofort gebraten hat, und er hat einen Kurier mit dieser angenehmen Nachricht, die das ganze Serail in einen Freudentaumel versetzt hat, nach Konstantinopel geschickt.

Man hat entdeckt, daß dieser Schelm von einem Kometen es war, der sieben Monate lang Südwinde wehen ließ, so daß die türkische Flotte nicht die Dardanellen passieren konnte. Nach diesen Tatsachen, die völlig sicher sind, brauchen Sie keine Zeitungen mehr. Wenn die Ursachen bekannt sind, so vermögen nur Dummköpfe die Wirkungen nicht vorauszusehen.

Aber vielleicht habe ich Sie in einem ganz falschen Verdacht. Sie hatten es gar nicht auf türkische Neuigkeiten abgesehen, als Sie mich um unsere Zeitungen baten. Sie wollten mich nur verführen, Ihnen zu schreiben. Wenn das Ihr Zweck ist, so haben Sie's gut getroffen: Gelegenheit macht Diebe. Ja, ich werde Ihnen schreiben, und wenn Sie mir antworten, so werde ich Ihnen oft schreiben. Meine Eitelkeit fühlt sich so angenehm gekitzelt, meine Freundschaft für Sie und Ihre Frau Gemahlin (denn auch sie kommt hierbei sehr in Betracht; sie ist so sanft! so gut! Wie leid tut es mir, daß ich sie früher ein wenig vernachlässigte!) fühlt sich so von ihrer Erinnerung geschmeichelt, daß es mir unmöglich wäre, nicht mit Ihnen im Briefwechsel zu bleiben, der mir so viel Vergnügen macht. Es wird uns nicht an Stoff mangeln, unsre Seiten zu füllen; er ist reichhaltig genug.

Ich habe das Système de la Nature erhalten; aber ich werde Ihnen heut abend nichts darüber sagen, lieber will ich mit Ihnen von meinen Dialogen reden. Ich habe den Auszug gesehen, den Fréron davon gab. Ich bin ganz damit zufrieden: man konnte nicht besser die Gesamtheit meiner Ideen erfassen. Wie ist es möglich, daß Fréron sie erfaßt und der Abbé Morellet sie nicht begriffen hat? Bitte, mein lieber Suard, sagen Sie mir – Sie können es ja wissen – was konnte den Abbé so blind machen, daß er mich für einen Feind der freien Ausfuhr hielt?

Es ist für mich unfaßbar, daß ein mit dem Stoff so vertrauter, an das Lesen solcher Bücher so gewöhnter Mann, nicht im geringsten den Sinn dessen erfaßt hat, was ich sagen wollte. Sie können sich nicht vorstellen, wie leid mir das tut: denn im Grunde ist es für mich oder für ihn eine Schmach, eine ungeheure Schande, daß wir uns nicht verstanden haben. Daran muß entweder die Dunkelheit meines Stils oder das Übermaß seiner Leidenschaft schuld sein; es wird darauf hinauslaufen, daß er ein Buch gegen mich schreibt, das mit aller Schärfe mich widerlegen und dabei Wort für Wort wiederholen wird, was ich gesagt habe oder wenigstens sagen wollte. Der Abbé, der denkt wie ich (denn es ist unmöglich, daß er einer andern Meinung sei), wird sich mitten im schönsten ökonomistischen Wirrwarr finden und aus vollem Halse schreien: Freiheit, Sicherheit, Eigentum, proportionaler Preis, notwendiger Preis, gewöhnlicher Ausgleich, freier Markt, ewige Dummheit! Welche Schande für unsern Abbé, so ganz dicht an Abbé Rhabarbers Seite zu stehen. Der hat acht sehr stark abführende Episteln gegen mich verbrochen, von denen ich aber nur den Auszug im Merkur vom Juni gelesen habe.

Ich bin so froh, daß diese Leute nicht eine einzige Zeile meiner Dialoge verstanden haben, daß ich es Ihnen kaum ausdrücken kann. Ich hatte es vorausgesehen und hätte meinen Kopf darauf gewettet. Man ist sehr froh, wenn man richtig prophezeit hat. Epiktet war vor Vergnügen außer sich, als sein Herr, der eine Tür hinter ihm schloß, ihm ein Bein zerbrach, weil er es vorausgesehen und es ihm vorher gesagt hatte. Aber genug davon; gehen wir zu ernsten Dingen über. Sie müssen viele Leute in meinem Namen küssen: zuallererst Madame Suard.

Aber nehmen Sie bei dieser erhabenen Zeremonie keine traurige Miene und keinen gattenhaften Ton an. Machen Sie sich selbst zum guerluchon, denn es ist schließlich besser, daß Sie selber sich des Auftrages entledigen, als daß ein Anderer es tut. Dann müssen Sie mir Frau Necker küssen; der Auftrag ist nicht leicht, doch petita venia des Herrn Gemahls wird es Ihnen, hoffe ich, gelingen. Endlich müssen Sie mir Frau von Marchais küssen. Oh! Die wird wütend auf mich sein, denn sie war glühende Ökonomistin. Aber sie hatte eine so zarte Seele! Könnte sie nicht auch ein Ungeheuer lieben? Erinnern Sie doch alle drei an jenes denkwürdige Abendessen, bei dem ich gerade als Ungeheuer so liebenswürdig war! Wo ich erklärte, ich liebte nur das Geld meiner Freunde und die Betten meiner Freundinnen (und da hatte ich nicht ganz unrecht). Fräulein de Lespinasse fand, ich hätte vielleicht recht, und endlich entschied der Gerichtshof des philosophischen Parlaments (alle vereinigten Tischgenossen) durch ein unwiderrufliches Urteil, daß ein lustiges Ungeheuer mehr wert sei als ein langweiliger Gefühlsduseler.

Meine Briefe gelten, wie die des heiligen Paulus, Ecclesiae quae est Parisiis. Lesen Sie sie also meinen Freunden vor. Wenn sie wüßten, wie lieb ich noch all meine guten Freunde habe, so würden sie alle vor Rührung darüber weinen. Leben Sie wohl, mein lieber Suard, ich bin fürs ganze Leben Ihr etc.


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