Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[44] Frau von Epinay an Galiani

La Briche, den 29. Oktober 1770

Nein, wahrhaftig, seit dem Pechvogel im Märchen, wie Madame Geofirin die unglücklichen Leute nennt, ist so etwas wie mein Abenteuer der letzten Woche noch nicht dagewesen: Das Pech ist so groß, daß man sich darüber totlachen muß.

Ich erhalte morgens die Nachricht, daß ich durch Schuld meines Notars oder jedenfalls durch seine Nachlässigkeit mich gezwungen sehe, eine Zahlung von zehntausend Livres zu machen, auf die ich nicht rechnete, und von denen ich keinen Sou besitze; und zwar im Laufe von acht Tagen. Ich lasse die Pferde anspannen und fahre nach Paris. Ich finde die Sache unmöglich. Zehntausend Francs, jetzt! Ich komme nach meinem Hause; während man die Pferde wechselt, fällt es mir ein, einen Schrank zu öffnen, in dem ich all meine Vorräte während der Ausbesserungsarbeiten im Hause verschlossen hatte. Die Mäuse hatten sich ebenfalls dahinein geflüchtet und hatten sich so gut unter den genannten Vorräten eingerichtet, daß von den zwanzig Konfiturentöpfen und vier Zuckerhüten keine Spur, aber rein nichts geblieben war. Ich fluche, das tröstet; ich lasse Mäusefallen stellen; damit hätte ich anfangen sollen, aber es sind noch Wäsche und Bücher da, die muß man doch schützen. Ich steige wieder in den Wagen und stürze fort, mir immer wieder zurufend: Geld! Geld! Verliert da nicht ein Pferd ein Eisen und müssen wir nicht eine Stunde an eines Hufschmieds Tür halten! Ich kann immer mit den Zähnen knirschen, den Vorübergehenden die Zunge herausstrecken, darumkomme ich nicht weiter vorwärts. Schön, ich fahre also überall herum und bekomme kein Geld, habe im Gegenteil welches verloren, denn (ich glaube, ich schrieb Ihnen das schon), als ich in mein Haus trete, bemerke ich, daß ich meine Börse mit fünf Louis darin verloren habe, desgleichen einen goldenen Ring. Ich habe sie überall gesucht, wo ich gewesen war; sie ist verloren, unrettbar.

Ich kehre nach der Briche zurück, von Kälte, Anstrengung und Ungeduld erschöpft, und als ich dort ankomme, da zerbreche ich meine Uhr. Oh, meiner Seel! Ich bin ohne Abendessen zu Bett gegangen, denn ich hatte Furcht, beim Essen zu ersticken. Ich frage Sie, Abbé, ob so etwas je schon dagewesen ist.

Ein andrer Unfall, der auch zum Totlachen ist, weil er keine weiteren Folgen haben wird, ist der Ihres reizenden Marquis: er leidet an einem Fluß, infolgedessen ihm das halbe Gesicht angeschwollen ist, aber auf so komische Art, daß ich mein Lebtag keine lächerlichere Anschwellung gesehen habe; er hat es mir auseinandergesetzt, daß bei ihm nie etwas ist wie bei anderen Leuten. Er schrieb mir von seinem Unwohlsein: »Kommen Sie zu mir«, sagte er, »Sie werden mein Gesicht nicht so grade finden wie mein Urteil«, und, wahrhaftig, er hat eine sehr sonderbare Art, beiseitezusprechen. Ich wollte ihn im Gegenteil überzeugen, daß sein Gesicht das getreue Abbild seiner Unterhaltung wäre. Nichts ist zusammenhängend, alles kommt stoßweise hervor; aber davon wollte er nichts wissen. Übrigens haben die Breiumschläge Wunder bewirkt, und unaufhörlich behauptet er, schon wieder wie ein anderer Mensch auszusehen. Wenigstens wird er bald geheilt sein.

Ach! welch prächtige Alsos haben Sie mir geschickt! Es ist unglaublich. Grimm ist rein närrisch darüber. Ich habe Gelegenheit, an Voltaire zu schreiben, und will sie ihm schicken. Er ist noch immer berauscht von Ihrem Buch, ich will, daß er Sie rächt für das Stillschweigen der anderen, die nicht schweigen dürften. Ich habe ihn ein bißchen vernachlässigt, will mich aber wieder daran machen, ihm zu schreiben, und will ihm den Kopf warm machen. Schreiben Sie mir Ihrerseits etwas zu seinem Lobe, das werde ich ihm schicken. Ach! Was er macht, wird wenigstens bleibend sein. Die Beleidigungen werden vorübergehen, aber seine Worte und Ihr Buch nicht. Er hat neulich an Grimm geschrieben und sagt: »Ich bin der geduldige Hiob, aber ich hatte auch Freunde, die mich auf meinem Düngerhaufen trösten kamen, und die mehr wert sind als die Freunde dieses Arabers.« Dann spricht er von d'Alembert und Herrn de Condorcet: »Sie haben mir gesagt, und das wußte ich ohne sie, wie sehr die Welschen gegen die Philosophie wüten. Jetzt ist der Zeitpunkt da, um der Philosophie zu sagen, was man den Häschern sagte, und was St. Johannes den Christen sagte: Kindlein, liebet euch untereinander, denn wer zum Teufel liebt euch sonst?« ...

Ich kehre morgen nach Paris zurück; meine Hausreparaturen sind beendet, und ich sage der Briche Lebewohl ohne Erbarmen und ohne Wiederkehr. Sie ist vermietet auf neun Jahre, ohne Vorbehalte, und wer weiß, ob ich in neun Jahren noch auf der Welt bin. Übrigens ist seit acht Tagen ein Wetter, das prachtvoll geeignet ist, um das Land ohne Bedauern zu verlassen: beständige Regengüsse, unerträgliche feuchte Kälte. Aber ich fühle mich wohl, und wenn ich Ihnen schreibe und Ihre Briefe empfange, mein lieber Abbe, so bin ich ganz so zufrieden, als ob ich meine zehntausend Francs gefunden hätte, als ob meine Konfitüren nicht aufgefressen wären, als ob mein Pferd nicht sein Eisen verloren, als ob ich meine Börse nicht verloren, als ob ich meine Uhr nicht zerbrochen hätte. Nach der Geschichte meiner sechsundzwanzig Mißgeschicke fehlte mir nun nichts weiter, als diese Woche auch keinen Brief von Ihnen zu bekommen. Ich halte mich an Fontainebleau, und hoffe morgen, wenn ich ankomme, einen vorzufinden. Leben Sie wohl, mein lieber Abbé, ich umarme Sie.


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