Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[1] An Frau Necker

Genua, den 17. Juli 1769

Madame,

unter der großen Zahl der von mir geliebten Personen, die ich in Paris zurückgelassen habe, war es mir unmöglich, den oder diejenige auszuwählen, die die Erstlinge meiner Briefe empfangen würden; ich hatte beschlossen, sie der zu widmen, von der ich zuerst träumen würde. Denken Sie sich, Madame, von Ihnen habe ich zuerst von allen geträumt! Zuerst von allen, und zwar ohne jede Ausnahme. Die Sache ist sonderbar, aber gewiß und wahrhaftig wahr!

Ich träumte, Sie wären in einer Stadt halbwegs von Paris nach Marseille, ich besuchte Sie auf meiner Reise und war entzückt, bei Ihnen Suard, Marmontel und – o besondere Freude! – Ihren Gatten zu finden. Man hatte soeben erfahren, daß Herr Gatti bei Chanteloup auf der Jagd erschossen worden sei. Gatti kam hinzu und erzählte uns selbst, auf welche Weise er getötet wurde. All dies erschien mir im Traum sehr natürlich und sehr vernünftig. Ich lag halb ausgestreckt auf einem Sofa, Sie saßen bei mir mit gerührter Miene. Ich bewunderte Ihren Pantoffel, und als guter Architekt berechnete ich, nach den Regeln des Vitruvius, nach der Schönheit des Fußgestells die Schönheit der Säule. Sie fanden wie gewöhnlich das alles sehr erstaunlich und sehr gleichgültig, wie es ebenfalls Ihre lobenswerte Gewohnheit ist. Sie zogen Ihren Pantoffel zurück. Ich fuhr plötzlich aus dem Schlafe auf. Wo ist Madame Necker? Wo ist der Pantoffel? Alles war verschwunden. Statt auf einem guten Sofa fand ich mich auf einem entsetzlich harten Bett, und, anstatt inmitten meiner Freunde zu sein, war ich von Wanzen umwimmelt. O welche Katastrophe!

Aber bin ich denn wirklich abgereist? Habe ich den wirklich Paris lassen können? Wo, wie, durch welches Tor? Wie hat es geschehen können? Ich begreife nichts von allem. Nein, es ist ja nicht möglich! Ich bin ja in Paris, ich höre Ihnen zu, ich bewundere Sie, ich finde Sie unnachahmlich.

Und was machen die Ungeheuer Ihrer Umgebung? Warum schreiben sie mir nicht? Barbaren! Madame, bezahlen Sie für sie alle und beschämen Sie ihren Geiz! Schreiben Sie mir einen Brief und nehmen Sie sich zum Muster die Briefe, die Ihr Herr Gemahl von seinem Freund aus Bicêtre bekommt: zweiundfünfzig Bogen, gut gemessen!

Übrigens sehen Sie am Datum dieser Briefe, daß es einen Monat und länger her ist, seitdem ich Sie nur im Traum gesehen habe, daß ich körperlich in Genua bin, daß heißt: daß ich nicht in Paris bin; überall aber bin ich

Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener.


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