Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[133] An d'Alembert

Neapel, den 25. September 1773

Mein lieber d'Alembert!

Das Beste, was, ohne Frage, Herr de La Borde auf seiner italienischen Reise gemacht hat, ist, daß er den Einfall hatte, Sie um einen Brief für mich zu bitten. Er bedurfte dessen gar nicht. Ich kannte ihn, ich achtete ihn, ich war von seiner liebenswürdigen Schwester mit Freundlichkeiten überhäuft worden und besonders von der heroischen Madame de Marchais, obwohl sie für die Ökonomisten durchs Feuer ging und ich ein Antiökonomist zum Anbeißen war.

Indessen war es sehr nett von Herrn de La Borde, daß er mir einen Brief von Ihnen brachte. Dieser Brief ist mir so teuer! Er bereitet mir so viel Vergnügen, macht mich so eitel, daß er das beste Geschenk ist, das ich aus Frankreich hätte erhalten können. Wenn Sie sähen, wie ich mich brüste, indem ich in unseren Gesellschaften so ganz nachlässig sage: »Ich bekomme eben einen Brief von d'Alembert«, wie ich ihn halb aus der Tasche ziehe, aber ihn wieder hineinschiebe, ohne ihn vorzulesen, weil da ein gewisser kleiner briccone drin ist, der nicht für jedermanns Ohren ist. Da gibt's denn große Reden über d'Alembert, großes Erstaunen, wenn ich erzähle, daß er klein von Wuchs und ein ganz durchtriebener Spaßvogel und Gesichterschneider ist. Man will durchaus, daß Sie groß seien wie der heilige Christofer und ernst und bärtig, wie der Moses von Michelangelo. Schließlich fragen mich alle auf einmal: Haben Sie ihn gesehen? Wie man Panurgs Papa auf der Insel der Papeguieren und Papefigen fragte. Nein, wirklich, ein Messinese ist nicht so eitel auf den Brief der Madonna, wie ich auf den Ihrigen. Aber warum bin ich nicht mehr Ihr kleiner briccone? Glauben Sie, ich sei weniger klein oder weniger briccone geworden? Ich bin beides noch ebenso wie früher und werde stets Ihr kleiner briccone sein.

Es war mir unmöglich, Herrn de La Borde irgendeinen Dienst zu erweisen, was mir recht leid tat; aber er hat Italien im Lauf, im Galopp gesehen, wie die Hunde das Nilwasser trinken; der Vierteljahrsdienst ist aber auch wirklich ein böses Krokodil. Er hat niemals geschlafen. Welch ein gräßlicher Gedanke für mich, der so recht mit Behagen sich ausschläft. Ein Hofmann ist ein wahrer Simon Stylites; er scheint glücklicher als andere Leute, weil er oben auf einer Säule sitzt; aber er kann da oben nie schlafen. Herr de La Borde hat sich in Neapel amüsiert, so sehr er konnte und so sehr er wollte.

Sprechen wir jetzt ein wenig von den Jesuiten, wenn's Ihnen recht ist, und seien Sie überzeugt, daß von all den Werken, Broschüren, Bildern, Epigrammen, Berichten, Verordnungen, Erlassen, die man aufgestapelt hat, um den Koloß zu Boden zu werfen, hierher nichts weiter gelangt und nichts weiter im Gedächtnis haften geblieben ist als La Chalotais' Reden; und Ihr Buch – wenn Sie nur dieses veröffentlicht haben – ist noch bekannter, weil es besser verständlich war. Alles übrige ist mit ihnen verschwunden. Sie sind erledigt. Sie werden enden wie die Tempelherren, nachdem sie fünfzehn Jahre lang wie Kapuziner beschimpft worden sind. Ihre Grausamkeiten müssen auf unsere Phantasie einen tiefen Eindruck gemacht haben, daß uns die gegen sie verübten Grausamkeiten nicht rühren. Ich schrieb früher die an den Tempelrittern verübten Grausamkeiten der Barbarei jener Zeit zu. Das war eine Dummheit von mir. Furcht und Habgier sind stets die Ursachen der Grausamkeit und werden es stets sein. Es ist unmöglich, mächtige und reiche Wesen anzugreifen, wenn man nicht furchtsam und habgierig ist. Die Spanier in Peru würden die Indianer verachten, wenn diese sie in Waffen und Schlachtordnung fänden. Aber man mußte sich die Stiefel ausziehen, die Waffen ablegen und schlafen. Welche Angst für 400 Mann, von einer Million Feinden umgeben schlafen zu müssen! Übrigens hatten diese Feinde verborgene Goldminen. Man mußte grausam sein.

Seien Sie getrost, mein lieber Freund, die französische Akademie, obwohl nach Herrn de Pompignan noch verderblicher als die Jesuiten, flößt weder Schrecken noch Habsucht ein. Man wird Sie also nicht auf die Folter spannen, um Ihre vergrabenen Jetons zu entdecken; höchstens wird man Sie zuweilen ein bißchen rasend machen, indem man die Auszahlung Ihrer Jahresgelder verzögert.

Bei Erwähnung der Akademie fällt mir ein: warum findet man denn nicht, daß ich recht wie ein ausländisches korrespondierendes Mitglied aussehe? Nicht, daß es für mich irgendwelche Bedeutung hätte; aber ich glaube, es würde mir viel Spaß machen, wenn ich dazu ernannt würde.

Mein Aufenthalt hier ist keineswegs unangenehm, aber er ist manchmal langweilig. Zuweilen erfaßt mich ein unwiderstehliches Bedürfnis, ein unerträglicher Kitzel zu sprechen, und diese kann ich hier nicht mit Leuten nach meinem Geschmack befriedigen. Das ist mein ganzes Leiden, das ist auch die Ursache eines so geschwätzigen Briefes. Besuchen Sie mich, und ich werde genesen. Fräulein de Lespinasse erinnert sich also meiner noch! Ich erinnere mich nicht nur ihrer, sondern auch ihrer Hündin und ihres Papageis, der so viele Dummheiten sagte. Behalten Sie mich lieb, mein lieber Freund; ich verdiene es wegen meiner Anhänglichkeit, die einen viel stärkeren Anspruch auf Liebe gibt als Ähnlichkeit oder gleiches Verdienst. In der Tat, der heilige Antonius liebte sein Schwein, und Baronius behauptet, dieses Schwein habe an ihm gehangen, sei ihm um den Hals gefallen und habe ihm viele andere Liebkosungen erwiesen. Seien Sie mein heiliger Antonius. Leben Sie wohl, haben Sie mich lieb, versöhnen Sie mich mit meinem lieben Abbé Morellet. Er hat eine freundschaftliche Aufrichtigkeit eines meiner Briefe als eine Beleidigung aufgefaßt, er hat unrecht; leben Sie wohl.


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