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Neapel, den 17. April 1773
Sie mögen mir, schöne Frau, in den von Ihnen eigenhändig geschriebenen Briefen immerhin sagen, daß Sie sich recht leidend fühlen, und in dem Ihrem Schreiber diktierten versichern, daß es Ihnen gut geht. Es ist Tatsache, daß ich infolge einer Verirrung meiner Einbildungskraft Sie nur dann für wohlauf halte und selber nur dann fröhlich bin, wenn ich Briefe erhalte, die Sie mit eigener Hand geschrieben haben.
Diese Verirrungen unserer Einbildungskraft sind recht außerordentlich und mit Hilfe der Philosophie allein sehr schwer zu heilen. Es müßte auch das Temperament noch mitwirken. Sie zum Beispiel stellen sich tausend Gefahren vor, sehen die Abwesenden tausendmal tot. Ich habe dieses Leiden der Phantasie durchgemacht. Im Grunde ist es ein Unsinn. Können wir etwa Leiden heilen, indem wir mit unseren Augen daran haften wie die Schildkröten mit den ihrigen an ihren Eiern? Und bekommt man etwa weniger leicht eine Kolik, wenn man an der Seite eines Freundes speist, als wenn man allein ißt? Der einzige Unterschied ist der, daß wir es früher erfahren werden; aber das trägt zur Heilung nichts bei. Also seien Sie überzeugt, daß es mit ihm weder besser noch schlimmer stehen wird, ob er nun unter Ihren Augen Ist oder nicht. Über den wirklichen Verlust, den das Fernsein eines Freundes für uns bedeutet, habe ich nichts zu sagen: er ist vorhanden, er ist unersetzlich; aber der Gedanke an die Rückkehr ist ein Beruhigungsmittel ganz eigener Art. Übrigens verfließt die Zeit so rasch! Um Sie und Ihre Gesundheit habe ich keine Besorgnis mehr, das habe ich Ihnen schon gesagt. Wenn sie erst wieder befestigt ist, erwarte ich, daß sie spornstreichs hierher kommen. Wenn Sie es möglich zu machen wissen, mich mit sich nach Frankreich zu nehmen, sind Sie eine großartige Frau.
Herr Bartoli von Turin ist ein alter Freund von mir. Ich verkehrte viel mit ihm in Turin und in Neapel, als er 1757 hier war. Er ist ein Mann von großer Gelehrsamkeit auf dem Gebiet des Altertums und der schönen Wissenschaften, ein großer Geist, der wegen des Feuers in seinem Kopf als toll erschien. Er hat große Ähnlichkeit mit Gatti, ist aber viel weniger gut. Beim Namen Gatti fällt mir ein: der hat sich jetzt ganz und gar in sein Nest eingesponnen. Er gräbt mit seinen eigenen Händen sein Land um. Er ist sehr traurig geworden, aber er ist völlig zufrieden. Das verträgt sich wohl miteinander.
Um auf Bartoli zurückzukommen: seine Tragödie ist mir unbekannt. Der Philosoph hat recht, wenn er glaubt, daß die Italiener, wenn sie sich einmal daran machen, Tragödien zu verfassen, die Franzosen übertreffen werden. Metastasio ist ein Beweis dafür. Aber er irrt sich, wenn er glaubt, daß die Italiener jemals Tragödien haben können. Ich wundere mich nicht, wenn der Philosoph niemals auf diese feine Beobachtung gekommen sein sollte; denn er hat ja niemals Italien bereist, sonst hätte sein Gefühl es ihm sofort gesagt. Sagen Sie es ihm; die Sache ist so: die Italiener werden vielleicht Tragödien dichten können, aber sie werden sie niemals spielen können. Es fehlen ihnen die schönen Männer und die Frauen von edlem Anstand. Unter allen italienischen Schauspielern ist kein Aufresne, kein Brizard, kein Clairval. Wenn der Italiener ernst und groß sein will, ist er linkisch und mürrisch. Wenn er den Spaßvogel spielt, dann ist er ein Pantomime ersten Ranges und geradezu entzückend. Wir werden euch Harlekine und Coralinen liefern und werden euch auf diesem Gebiet stets überlegen sein. Aber eure Aufgabe ist es, Europa einen Baron, einen Aufresne, eine Clairon zu schenken. Dies ist der Grund, warum bei uns die Tragödie unmöglich ist. Unsere castrati haben kein Feuer; aber die Musik verschleiert alles. Nun aber ist eine Tragödie, die nicht gespielt wird, überhaupt keine Tragödie. Man spielt sie stets in seinem Kopf, wenn man sie liest. Auf die Tragödie müssen wir also ebensogut verzichten wie die Spanier und Portugiesen. Franzosen, Engländer, Polen, Schweden haben schön gewachsene, gut entwickelte Männer und werden darum Schauspieler haben.
Wie gewöhnlich habe ich heute abend keine Zeit mehr. Also haben Sie mich lieb! In acht Tagen mehr!