Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[64] An Frau von Epinay

Neapel, den 13. April 1771

Ich erhielt von Ihnen eine reizende Nr. 48. Sie sind lustig, Sie singen den ganzen Tag wie närrisch, Sie phantasieren auf dem Klavier und nuancieren alle Töne mit einer haarsträubenden Geschicklichkeit. Grimm, Schomberg und Chastellux tun desgleichen, und ich glaube, in Ihrem Zimmer geht es genau so her wie bei der Szene, wo Harlekin als Dieb und Profoß die Zauberflöte spielt, so daß alle singen und tanzen müssen. Nachdem Sie meine Seele so sehr verdüstert hatten, kann ich Ihnen gar nicht sagen, welcher Balsam für mich Ihr Brief war. Allerdings ist Ihre Nr. 49 nicht so lustig. Sie schildern mir Ihre Unruhe bezüglich des Herrn von Sartine. Ich glaube nicht, daß man ihn in die Verbannung schickt. Tacitus berichtet im sechsten Buch seiner Annalen (ziemlich am Schluß) als etwas ganz Besonderes, daß mitten in der ungeheuren Verwirrung, in der sich nach Sejans Sturz das Römische Reich befand, der Polizeipräfekt Lucius Piso im Alter von achtzig Jahren eines natürlichen Todes starb; rarum; sagte er, in tanta claritudine! Er führt dann dafür folgenden Grund an: Nullius servilis sententiae sponte auctor; et quoties necessitas ingrueret, sapienter moderans. Ich weiß, Sie verstehen nicht Latein; aber schlagen Sie nicht in der Übersetzung des Abbé de la Bletterie nach. Fragen Sie lieber den Philosophen, und studieren Sie genau diese Stelle des Tacitus; denn sie ist merkwürdig, sie beweist, daß ein Polizeistatthalter nicht fortgeschickt wird wie ein Prälat, der die Pfründen zu vergeben hat. Es kommt wenig darauf an, ob unter den Bischöfen ein Pfründenkäufer mehr oder weniger, oder ob unter den Abbes ein Leichtfuß mehr oder weniger ist. Aber Straßenschmutz und Laternen, Spitzbuben und Gauner, die darf man nie vergessen und aus den Augen lassen...

Ich erhielt die ganze Geschichte von den beiden Freunden. Ich werde sie als Freitagsbescherung auftischen; aber unsere Freitage werden neapolitanische Freitage und entfernen sich in Art und Ton von den französischen Freitagen, so viel Mühe der Baron und ich uns auch geben.

Es ist keine Möglichkeit, aus Neapel so eine Art Paris zu machen, wenn wir nicht eine Frau finden, die uns leitet, uns lenkt, uns geoffrinisiert. Ihre Geschichte von Madame Geoffrin ist übrigens wundervoll; ich habe sie allen aufgetischt, die sie kennen. Wir haben hier jetzt Herrn von Schuwalow. Er beauftragt mich, alle seine Pariser Freunde zu grüßen. Wir bedauern Sie, Sie alle miteinander. Es ist eine schöne Rache für mich, den Sie bedauerten, weil ich Paris verloren hatte, daß ich Sie jetzt bedauere, weil Sie es behalten haben. Guten Abend. Ich muß immer noch an Grimm schreiben und mich über seine bittere Satire beklagen, womit er in seiner Neujahrspredigt meine Keuschheit angegriffen hat. Er hat gelogen. Ich habe nicht die Hälfte von dem gemacht, was ich hätte machen können.


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