Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[52] An Frau von Epinay

Neapel, den 22. Dezember 1770

Sie stellen mir, schöne Frau, die große Frage, ob ich trübsinnig bin oder ob Sie es sind. Wir sind es alle beide, und darüber sind wir einig; aber keiner von uns will es sein, und darüber streiten wir uns eben...

Ich habe hier eine Art Paris zustande gebracht. Gleichen, der General Koch, ein Resident von Venedig, der französische Gesandtschaftssekretär und ich, wie speisen miteinander. Wir kommen zusammen und spielen Paris wie auf dem Jahrmarkt Nicolet Molière spielt. Ich trug zu diesem Diner eine köstliche Würze bei mit Voltaires Brief und mit seiner Ode in Prosa, die Sie so freundlich waren, mir zu schicken. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür und bitte Sie im Namen unserer Vereinigung und zugleich in meinem eigenen, uns alles zu schicken, was an Witzigem und Heiterem in Paris herauskommt...

Ich habe ein Buch im Kopf, das meine Einbildungskraft in hohem Maße befeuert; ich möchte es schreiben, aber meine Armkraft reicht nicht dazu. Es wird heißen: Moralische und politische Belehrungen einer Katze an ihre Jungen. Aus dem Kätzischen ins Französische übersetzt von Herrn von Kratzerich, Dolmetscher der Katzensprache an der königlichen Bibliothek.

Da ich hier keine andere Gesellschaft habe als die meiner Katze, so träume ich immerzu von diesem Werk, das recht originell werden wird. Zunächst lehrt die Katze ihre Kleinen die Furcht des Menschengottes. Hierauf erklärt sie ihnen die Theologie und die beiden Grundprinzipien: den guten Menschgott und den bösen Hundsteufel; sodann belehrt sie sie über Moral: den Krieg gegen Ratten und Spatzen usw. Endlich erzählt sie ihnen vom künftigen Leben und von der himmlischen Rattapolis. In dieser Stadt bestehen die Mauern aus Parmesankäse, die Fußböden aus Kalbslunge, die Säulen aus Aalen usw., und dazu ist sie voll von Ratten, die zum Ergötzen der Katzen da sind. Sie flößt ihnen Ehrfurcht ein vor den kastrierten Katern. Diese sind prädestinierte Kater, vom Menschgott zu ihrem Stande berufen, um in dieser und in jener Welt glücklich zu sein, was man daran sieht, daß sie so fett sind; darum brauchen sie auch keine Mäuse zu fangen. Endlich empfiehlt sie ihnen, sich vollkommen in ihr Schicksal zu ergeben für den Fall, daß der Menschgott sie in diesen Stand der Vollkommenheit berufen sollte. Gibt es auf der Welt was Närrischeres als ein solches Buch?


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