Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[169] Frau von Epinay an Galiani

Paris, den 20. Februar 1777

Ah, ich höre Sie von hier aus; aber wahrhaftig, mein teurer Abbé, es ist nicht mein Fehler, und wenn ich nicht geschrieben habe, so war es, weil ich nicht schreiben konnte. Ich hatte Leibschmerzen und Zahnschmerzen; Geld bei einer trostlosen Witwe einzuziehen, die nur Zeit hatte, zu weinen, aber keine, um mich zu bezahlen; Dialoge zu schreiben; einen angefangenen Moralkatechismus zu vollenden; ein durchgefallenes Stück meiner Freunde durchzubringen, und was weiß ich alles! Und all das von meinem Sessel aus, von dem ich nicht aufstehe; und dann die Zeit, die verrinnt, ohne mich aufmerksam zu machen; ein Sonntag wartet nicht auf den ändern; man weiß nicht, was man beginnen soll. Endlich gehöre ich wieder Ihnen; ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, und dann wollen wir sehen.

Der Herr Polizeileutnant war zu einem feierlichen Diner eingeladen, zu einem Vereinsessen. Dies war der Fall, eine neue Perücke aufzusetzen; er bestellte also eine. Der Tag kam, aber nicht die Perücke. Ein Kammerdiener will sie holen. Der Perückenmacher entschuldigt sich tausendmal; aber seine Frau war vor zwei Tagen niedergekommen, das Kind am Tag zuvor gestorben; und der Frau ging es noch sehr übel: es war nicht zu verwundern, daß man in diesen Augenblicken der Verwirrung und Zerstreuung vergessen hatte, dem gnädigen Herrn die Perücke zu schicken. Da ist sie in dieser Schachtel. »Sie werden sehen,« sagte er, »daß ich mir alle Mühe gegeben habe.« Die Schachtel wird vorsichtig geöffnet, um die Perücke nicht zu beschädigen, und man findet darin das am Vorabend gestorbene Kind. »Mein Gott«, rief der Perückenmacher, »die Priester haben sich geirrt; sie haben die Perücke begraben.« Es war ein Befehl des Erzbischofs, ein Protokoll, ein Ratsbeschluß und ich weiß nicht was nötig, um das Kind zu beerdigen und die Perücke auszugraben.

Wir haben auch einen spaßigen Prozeß zwischen der Marquise von Saint-Vincent und einem Schneider, bei dem sie ein paar Hosen für einen gewissen Abbé bestellt hatte, die sie jetzt nicht bezahlen will; aber die Einzelheiten dieser an und für sich faden Geschichte würden zu weit führen. Was soll ich Ihnen noch erzählen, um Sie auf dem laufenden zu halten? Man hatte beschlossen, aus der Militärschule ein Seminar für die Regimentsalmoseniers zu machen und deren Mutterhaus den Ex-Jesuiten zu überlassen. Das Parlament und ein Minister erhoben Einspruch dagegen; man hat ihnen Gehör geschenkt, und die Gründung hat nicht stattgefunden, zum großen Bedauern des Herrn von Saint- Germain, der hoffte, daß in Zukunft alle Truppen, unter der Zucht solcher Geistlicher, ein musterhaftes Leben fuhren würden.

Wie geht es Ihren Zähnen, Abbé? Die meinigen wollen weder ausfallen noch bleiben und begnügen sich damit, mir wütende Schmerzen zu machen. Kann man ihnen keine Vernunft beibringen? Jeder Teil von uns hat also Willen und Gewalt? Verstehen Sie was davon? Ah, sagen Sie mir's, ich bitte Sie darum!

Guten Tag, Abbé. Seien Sie versichert, daß ich Sie immerzu lieb habe; aber wo nimmt man die Zeit her, um es zu sagen?


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