Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[10] An Frau von Epinay

Neapel, den 20, Januar 1770

Verehrte Dame,

in der tiefen Verzweiflung, in die mich die Widerwärtigkeiten stürzten, die meinem Werke widerfuhren, hatte ich nicht den Mut, Ihnen auf Ihren Brief vom 13. zu antworten. Ich sagte: Warten wir ab, sehen wir zu, wie es weiter gehen wird. Der Kurier reiste am 25. von Paris ab, konnte aber die Hindernisse, Schneefälle und ausgetretene Flüsse, nicht überwinden, und so sind wir eine Woche ohne Briefe von Frankreich geblieben. Jetzt empfange ich zu gleicher Zeit Ihre beiden Briefe vom 25. und vom ersten. Ich weiß noch nicht, ob ich jetzt vor Unglück sicher bin, noch auch, ob ich meine armseligen 100 Louis bekommen werde; denn die sind mein ganzer Ehrgeiz, mein Ruhm, meine Tugend.

Ich bemerke jedoch, daß ein Generalkontrolleur gestürzt werden, daß ungeheure Bankrotte eintreten, daß Staatsumwälzungen heraufbeschworen werden mußten, damit mein kleines Buch erscheinen konnte. Die Nacht, die Herkules gebar, war bei weitem nicht so lang und gewitterstürmisch. Um Gotteswillen, schicken Sie mir nicht die Kritiken; schreiben Sie mir nur, wie der Absatz war, und ob der Buchhändler den Schatzmeistern der Post und der Bretagne Gesellschaft leisten muß. Das ist das einzige, was Interesse für mich hat...

Die Georgica sind für unser Zeitalter kein poetischer Gegenstand mehr. Der Dichter muß einem ackerbauenden Volke angehören und dessen frommen Glauben teilen, um mit Begeisterung und Erhabenheit von Bienen, Lauch und Zwiebeln sprechen zu können. Was soll man anfangen mit eurer traurigen Wesenseinheit und Transsubstantiation? Es gibt zwei Arten von Religionen; die der jungen Völker sind heiter: Ackerbau, Medizin, Ringkunst und Bevölkerungslehre; die der gealterten Völker sind traurig: Metaphysik, Rhetorik, Beschaulichkeit, Seelengröße. Sie führen notwendigerweise zur Vernachlässigung des Landbaues, der Volksvermehrung, der Gesundheit und des Vergnügens. Wir sind alt.

Ich will noch ein Wort über Ihren ersten Brief sagen. Sie wundern sich darüber, daß Voltaire in seiner Broschüre ›Tout en Dieu‹ nur zwanzig Seiten gebraucht hat, um vom Urgrund und seinen Wirkungen zu sprechen. Ich bin erstaunt darüber, daß es so viel ist. Wer da sagt: »Alles in Gott«, der sagt damit auch klar und deutlich »Gott ist das All«; denn wer sagt, daß die Zwei und die Drei in der Fünf stecken, sagt zugleich, daß die Fünf nur die Verbindung von drei und zwei ist, und damit ist alles gesagt. Wie zum Henker soll man eine Broschüre mit einer Sache füllen, von der ich nicht zwanzig Zeilen schreiben könnte, ohne ein Gleichnis heranzuziehen. Voltaire hat diesmal Pech gehabt. Er wollte sich als Deist aufspielen, und ohne daß er's merkte, kam dabei der Atheist zum Vorschein. Der Krug geht solange zu Wasser usw. Man muß nie zu lange auf diesen Materien herumrutschen, sonst gleitet man aus.

Gerechter ist vielleicht sein Zorn gegen die Fastenzeit und den getrockneten Stockfisch. Ich liebe ihn auch nicht sehr, aber sein Eifern gegen die Feste ist abgeschmackt. Er hält sie für eine göttliche Einrichtung, und darum haben sie ihn verschnupft. Aber er täuscht sich, sie sind eine menschliche Einrichtung. Sie sind nicht für Gott, sondern für den Menschen gemacht, und darum sollte Voltaire sie achten. Er hat wieder mal seinen Hintern mit seinen Hosen verwechselt. Die Adorateurs dagegen mögen nach den Proben, die Sie mir davon geben, wohl ein gutes Buch sein. In einem Dialog muß jeder bei seiner Meinung bleiben ...

Leben Sie wohl, liebe, schöne Dame!


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