Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[16] An Herrn von Sartine, Polizeileutnant

Neapel, den 27. April 1770

Mein Herr,

wie ist es möglich, daß Sie meinen Brief, den ich aus Genua Ihnen zu schreiben mich beehrte, nicht erhalten haben? Ich antworte darin auf die mir von Ihnen gestellten Fragen über Nutzen und Einrichtung der Pfandleihhäuser. Und was werden Sie zu sich selbst gesagt haben? Was werden Sie gedacht haben? Sie werden mich für einen Undankbaren ohne Verständnis für Wohltaten gehalten haben, für einen Dummkopf, der für Freundschaft, guten Ruf, Hochachtung unempfänglich ist, während ich doch nur ein Unglücklicher bin.

Sie müssen nämlich wissen, daß es ein Vergnügen für mich war, Ihren Brief zu empfangen und von Ihnen befragt zu werden, und daß ich mit unaussprechlicher Freude Tag und Nacht daran gearbeitet hatte, auf einem besonderen Bogen die von Ihnen aufgeworfenen Fragen recht ausführlich zu beantworten. Ich sagte mir: Herr von Sartine wird an meiner Eile, womit ich die Gelegenheit ergreife, um ihm zu dienen, doch zum wenigsten erkennen, wie aufrichtig anhänglich ich ihm bin. Schließlich wurde ein stolzes Paket daraus, und ich schmeichelte mir, daß wenigstens die Größe des Umfangs es vor den Gefahren der Post bewahren sollte; aber mit Unglück kämpft man vergebens, und mein Pech geht über meine Kräfte! Ich höre von Frau von Epinay, daß mein Brief und mein responsum nicht in Ihre Hände gelangt sind. Ich hatte den Entwurf aufbewahrt; ich habe diesen nochmals abgeschrieben und schicke ihn anbei. Vielleicht wird die Arbeit jetzt unnütz sein, weil man den wackeren Entschluß gefaßt hat, die Pfandleihhäuser durch Bankerotte zu ersetzen, die ja freilich, wenn man sie recht versteht, ultima linea rerum und deshalb der beste Ausweg sind. Aber Sie werden doch wenigstens sehen, daß ich Ihnen gerne dienen wollte und dies immer tun werde, so oft Sie durch eine Nachwirkung der schönen Sympathie, die Sie zu mir zog, sich erinnern sollten, daß in Neapel Ihr herzlichster Bewunderer wohnt.

Ich vergesse Sie nie, und wie sollte ich das auch können? Überall: in Genua, Rom, hier in Neapel traf ich Diebstähle, Mordtaten, dunkle Straßen, Bettler, Schmutz und Häuser, die auf die Köpfe der Vorübergehenden fallen; in Paris dagegen wandelt man bei hellem Laternenlicht erhobenen Hauptes auf reinen Fußsteigen, mit Geld in der Tasche, und es kommen einem höchstens Anerbietungen zur Vervielfältigung des menschlichen Geschlechts in den Weg, aber keine Drohungen, keine Anstalten zu dessen Zerstörung. Aber was in aller Welt macht Frau von Sartine? Warum befaßt sie sich nicht ernstlich damit, uns ein Dutzend kleiner Sartine s zu schenken, um das Glück in allen Hauptstädten Europas zu verbreiten und einzuführen? Glaubt sie denn an dem genug zu haben, den mein Herz dazu bestimmt, eines Tages die gute Stadt Paris zu regieren? Ich möchte ihr zürnen; doch will ich ihr verzeihen, wenn sie mich nicht vergessen hat...

Ich sage Ihnen den aufrichtigsten Dank für den Schutz, den Sie gewissen Gesprächen, die rasend gekauft, rasend angegriffen und rasend falsch verstanden wurden, haben angedeihen lassen. Ich habe Frankreich etwas Gutes zu tun geglaubt und wollte besonders einmal wichtige Geschäfte, die nichts mit Metaphysik und nichts mit: Theologie zu tun haben, ohne jenen Enthusiasmus und jene Systematisierungswut behandeln, die alles verderben. Ich werde keine Veränderung in der Behandlung des Getreidewesens bewirken; aber wenigstens ist es mir gelungen, zu entdecken, daß Leute, die ich wegen der Reinheit ihrer ökonomischen Absichten schätzte, und die mir Philosophen schienen, in Wirklichkeit doch nur eine recht kleine Geheimsekte sind, und daß ihnen alle Fehler der Sekten anhaften: kauderwelsche Sprache, System, Geschmack an Verfolgungen, Haß gegen die Außenstehenden, Gekläff, Bösartigkeit, und Kleinlichkeit des Geistes. Sie sind auf politischem Gebiet genau dasselbe, was auf religiösem die Jansenisten auf dem Kirchhof von St. Medardus waren. Sie wären zu fürchten, hätten sie nicht beschlossen, nur in langweiligem Stil zu schreiben. Nun, ein Buch, das nicht gelesen wird, ist so gut wie nicht geschrieben; und ein Buch, das nicht geschrieben ist, soll nicht verfolgt werden. So verzeihen Sie ihnen denn die Schmähungen, die sie Ihnen sagen, wie ich ihnen von ganzem Herzen die gegen mich geschleuderten verzeihe. Ich werde niemals antworten. Ich bin nur von tiefem Dankgefühl gegen eine Nation durchdrungen, die so liebenswürdig ist und mich so lieb gehabt hat. Und ich entledige mich dieser Schuld, indem ich bei jeder Gelegenheit sagen werde, was mir zu ihrem Heil und Wohl zu sein scheint und mit dem Dienst meines Fürsten und dem Wohl meines Vaterlandes vereinbar ist...


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