Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[8] Frau von Epinay an Galiani

4. Oktober 1769

Ja, soll ich denn niemals einen ruhigen Augenblick haben! Immer Unruhe, Geschäfte etc. etc. Welch stumpfsinniges Leben führe ich! Mein Schwiegersohn ist hier und hat Zahnweh. Ach, wie er leidet! Er schneidet Gesichter wie ein Verrückter. Seine Frau hat die Kolik. Ragot hat Krämpfe. Rosette bellt, daß mir der Kopf platzt. Ich möchte schreiben, nichts da – es kommt Besuch: eine Dame, die ich nie gesehen habe; sie will das Haus sehen. Das Haus soll vermietet werden, darum müssen denn wohl Leute kommen, um es sich anzusehen! Diese Frau ist eine Schnüfflerin, eine Schwätzerin. »Madame, Ihre Dienerin, – Ihre sehr ergebene, Madame. – Madame, dies Haus scheint reizend, o mein Gott, wie können Sie da fortziehen? Ist es Ihrs? Aber vielleicht sind Sie nicht gern auf dem Lande? – Verzeihen Sie mir, Madame, es tut mir leid... – Ist es vielleicht ungesund? Es ist viel Wasser hier. Sie sehen zart aus. – Madame, dies Haus hier ist nicht ungesund, aber ich... – Ah, Madame, da fließt ja wohl die Seine? – Nein, Madame, das ist ein Kanal. – Und die Möbel? bleiben die Möbel im Hause? – Madame, der Kanal muß mitgekauft werden, und die Möbel werden alle drei Jahre herausgefischt.« Wahrhaftig, das habe ich gesagt! so verdutzt war ich über all ihre Fragen und Dummheit. Übrigens hat dies Zerlegen und Inventarisieren des Hauses etwas Betrübendes an sich; es macht mich so traurig, daß ich all meine Kraft aufbieten muß, um nicht zu weinen. Alles, was ich je hier getan, was ich angeordnet, was ich gepflanzt habe, schien mir nie so schön, so interessant wie jetzt. Aber ich habe Außenstände, die mir nicht gezahlt werden, und ich weiß nicht, wann sie eingehen. Ich habe Kinder, Schulden, alte Dienstboten, die ich ablohnen muß. Die Rechtlichkeit verlangt, daß ich mich aufs Notwendigste beschränke; aber ich verberge Ihnen nicht, wie hart mich das ankommt. O, welcher Makel fällt auf meine Freunde, daß sie ruhig zusehen, wie sich über meinem Haupte soviel traurige und bisweilen sogar zur Verzweiflung bringende Umstände ansammeln! Sie allein könnten durch Ihre Freundschaft den Fortschritt des Trüben, das täglich mehr und mehr über mich hereinbricht, aufhalten! Sie können sich denken, welchen Platz in der Liste des für mich Erfreulichen Sie einnehmen! ...

Ich glaube, zum Trost für all das Unheil, das mich verfolgt, werde ich Schullehrerin werden, oder richtiger gesagt, ganz einfach Entwöhnerin. Tief aus den Pyrenäen ist meine kleine zweijährige Enkelin angekommen, ein originelles kleines Geschöpfchen. Sie ist schwarz wie ein Maulwurf, von spanischer Gravität, von wahrhaft huronischer Wildheit. Dabei hat sie die schönsten Augen der Welt, eine gewisse natürliche Anmut, ein Gemisch von Güte und Ernst in ihrem sehr ausgesprochenen und für ihr Alter sehr eigenartigen Persönchen. Ich wette, sie wird einmal Charakter haben, sicher. Und damit sie fest darin werde, habe ich Lust bekommen, dies kleine Geschöpf zu erziehen. Ich werde mir damit eine schreckliche Fessel anlegen. Ich kenne mich, ich muß es reiflich überlegen; oder vielmehr: ich muß das nicht tun und gesenkten Hauptes in diese neue Schlinge gehen, die mir das Schicksal gelegt hat; ihr Geschick wird darum nicht schlechter sein. Nun, das ist ein entscheidender Grund. Also abgemacht! Morgen nehme ich sie von ihrer Mutter fort, ich nehme sie zu mir, und dann wollen wir einmal sehen, was aus einem Kinde werden wird, das in voller Freiheit und ohne jeden Zwang aufwächst. Das wird für Paris ein ganz neues Beispiel sein. Denken Sie sich: ich bin die einzige, vor der sie keine Angst hat. Sie lächelt mir zu, Abbé, verstehen Sie? Und dann heißt sie Emilie. Welch reizender Name! Wie könnte man da widerstehen! ...


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