Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[60] An Frau von Epinay

Neapel, den 9. März 1771

Fluch denen, die Ihren Tisch ändern! Fluch denen, die Ihre Stühle anrühren. Wissen Sie, was diese grausame Verzögerung Ihrer Briefe mich kostet? Sie kostet mich eine Todesangst! Ich glaubte allen Ernstes, Sie seien gestorben, und meine Seele hat keinen Augenblick Ruhe gehabt. Ich lief herum, suchte Leute und fragte sie, ob nicht irgendein Unglück aus Paris gemeldet worden sei. Und alle antworteten mir, der Marschall de Seneterre sei gestorben. Gott nehme seine Seele zu sich! Aber Sie – um Gotteswillen, im Namen der reinsten und wahrsten Freundschaft, die es auf der Welt gibt – versäumen Sie niemals, mir allwöchentlich zu schreiben, entweder durch die Gesandtschaft oder mit der Post; im schlimmsten Fall lassen Sie mir durch Ihren Prior oder durch Ihren Propheten schreiben. Das ist ernster, als Sie glauben. Doch jetzt zu etwas anderem!

Der Marquis liebt also einen Elefanten. Wie das ihm ähnlich sieht! Wie das mir ähnlich sieht! Es war einmal in Neapel ein Elefant, ich betete ihn an. Duclos glaubte also, man könne vom Elefanten sprechen, ohne sich etwas zu vergeben? Aber wenn er ihn zu sehr lobte, was würden dann die Neidhammel sagen? Vorsicht ist nach meiner Meinung für unvorsichtige Menschen immer sehr notwendig, und so vorsichtig man auch ist, die Unvorsichtigkeiten bleiben immer, wie sie sind.

Halten Sie mich für so dumm, daß ich von Paris fortgegangen wäre, wenn ich nicht vorausgesehen hätte, daß ich mich dort nicht länger halten konnte, daß ich dort keinen guten Ankergrund mehr haben würde? Was ich Ihnen sage, ist buchstäblich wahr. Ich habe Paris mit vollem Vorbedacht und aus freiem Willen verlassen; ich sah, daß ich durch ein anderes Verhalten meinen Fortgang nur um wenige Monate hätte hinausschieben können, daß es mir aber, bei meiner Wesens- und Denkungsart und bei meiner gefühlvollen Anhänglichkeit an meine Freunde, unmöglich wäre, lange an Ort und Stelle zu bleiben, ohne mich zu rühren. Glauben Sie, daß ich besser getan hätte, nach der Veröffentlichung meiner Dialoge noch in Paris zu weilen? Würde mich dies bei meiner Regierung und in meiner Heimat empfohlen haben? Nein, ich tat gut daran, abzureisen; aber ich fühle, ich würde noch besser daran tun, zurückzukehren, trotz dem Verlust meiner Zähne, trotz meiner geschwächten Gesundheit und der Abnahme meiner Sehkraft. Hierum müssen wir uns nun ernstlich bemühen. Ich habe Lust, eine Eingabe zu machen, um beim neuen Parlament eine Stelle als Kanzleirat zu erhalten. Was meinen Sie dazu? Sprechen Sie mit dem Marquis darüber; sehen Sie zu, ob nicht sein Elefant meine Wünsche durchkreuzt.

Ich erwartete die Erledigung meiner Merlinschen Angelegenheiten. Vorläufig teile ich Ihnen mit, daß meine fünfundzwanzig Exemplare endlich eingetroffen sind; auch die nach Genua gesandten sind angekommen. Sie können sich also denken, daß ich auch die Neujahrspredigt erhalten habe. Wozu haben Sie sie mir geschickt? Um darüber zu lachen. Nun, ich will Ihnen sagen, beim zweiten Lesen bin ich in Tränen zerflossen; es wurden in meiner Seele so viele sehnsüchtige Erinnerungen wach, daß ich darüber beinahe verrückt wurde.

Ich sah Grimms komisch-groteske Verbeugungen; ich sah das feine Lächeln der Baronin, das innige Behagen des Barons, Diderots, Marmontels; ich sah den geheimen Verdruß des Abbe Morellet, der innerlich wütend war, daß nicht er diese Predigt gemacht hatte; ich sah sogar den Senator Pococurante Helvetius, der die Geschichte nicht so tragisch fand wie so einen schönen Mord und Totschlag bei Shakespeare und der gleichwohl einst mich lieb hatte. Aber, sagen Sie, was hat es denn eigentlich mit diesem reizenden Scherz auf sich? Hat Grimm ihn vorgelesen? Hat er ihn allen Fürsten des Nordens gesandt? Schreiben Sie mir Näheres! Ich persönlich finde ihn köstlich: ich akzeptiere sogar die überaus schmeichelhaften Lobsprüche, die er mir zollt; denn ich halte sie für wahr und gerecht; aber laut protestiere ich gegen die unanständigen Sarkasmen, die er sich gegen meine Keuschheit erlaubt. Man sieht wohl, der Verfasser ist nicht meinen Spuren nachgegangen; er kennt nicht die Orte, wo ich Namen und ewigen Ruhm hinterlassen habe. Er soll nur hingehen, da wird er Erstaunliches sehen und hören! Seine Kollekte ist beleidigend für mich. Ich habe kein Kind in Paris hinterlassen; die zwei, die ich hatte, sind gestorben, und auch ihre Mutter ist tot. Ich habe jetzt nur noch eine große Zahl von Schwägern, darunter mehrere Philosophen, aber keinen, der blödsinnig geworden ist, mit Ausnahme des »netten Bernard«. Übrigens werde ich an den Verfasser der Predigt schreiben; und zur Revanche für dieses schöne Stück gedenke ich, ihm, wenn mir Gott das Leben schenkt, ein originales, ernsthaftes Werk zu schicken. Er hat mich mit seinen Witzen so tief erniedrigt, darum will ich ihm mit Witzen nicht mehr kommen.

... Es ist spät. Ich habe heute früh mit dem Baron Gleichen und General Koch gespeist; wir sprachen viel von Ihnen und unseren Pariser Freunden. Guten Abend; haben Sie mich lieb! Sorgen Sie dafür, daß dieser Schelm, der Suard, mir schreibt, auch der Baron und andere, die mir niemals schreiben, niemals antworten.


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