Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[78] Frau von Epinay an Galiani

5. Oktober 1771

... Mein Gott! was für einen schönen, herrlichen Brief haben Sie mir über die Neugier geschrieben! Wie richtig alles gesehen ist, und wie tief gedacht. Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, daß auch die Haustiere ohne Neugier sind. Lieber Abbe, mein Hund ist neugierig, das versichere ich Ihnen; ich habe ihn genau studiert und nicht erst seit gestern. Wenn eine Kutsche bei meinem Hause anhält, wenn er den Pfiff des Portiers hört, springt er von meinem Schoß auf die Erde, setzt sich vor der Tür auf den Hintern und paßt genau auf, wer eintreten wird. Wenn er dagegen auf der Straße pfeifen hört, läuft er ans Fenster; aber dann knurrt und bellt er. Und doch wird ihm niemals gepfiffen, wenn er sein Essen bekommt, und niemals geben die Besucher, die zu mir kommen, ihm etwas zu essen.... Die Neugier der Menschen hat verschiedene Beweggründe; aber so verschieden sie auch sind – und sie sind unendlich verschieden –, man kann sie stets auf einen Grund zurückführen, der allen vernünftigen und unvernünftigen Tieren gemeinsam ist: das Interesse. Das körperliche Interesse, wie das moralische, verlangt Aufmerksamkeit. Nun können Sie nicht leugnen, daß der Hund den Befehlen und dem Willen seines Herrn Aufmerksamkeit entgegenbringt, und zwar sowohl dem Willen des Herrn, der ihn nicht schlägt, wie dem des Herrn, der ihn schlägt. Ich habe niemals meinen Hund geschlagen; im Gegenteil, ich verwöhne ihn aus Neugier, zum Beispiel, um mal zu sehen, welcher Unterschied zwischen einem von seiner Herrin verwöhnten Hund und einer vom Schicksal tief zu Boden gedrückten Frau besteht. Nun, er hört auf mich, sucht mich zu verstehen. Manchmal wundert er sich über meine Wünsche, aber von Furcht keine Spur. Sie werden zugeben, daß diese Aufmerksamkeit, dieses Erstaunen der Neugier sehr ähnlich sehen und geradewegs dazu führen. Mein lieber Abbé, denken Sie noch weiter darüber nach; wenn Sie auf Ihrer Meinung beharren, werde ich geneigt sein zu glauben, daß ich mich irre. Aber geben Sie genau acht! Ich bin ganz wie Sie (abgesehen von der Größe der Gedanken): ich habe keine Zeit, mich ausführlicher zu erklären...


 << zurück weiter >>