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»Block« und Klotz
Briand und die Kammer

Seit Herr Briand Amerika verließ und oppositionelle Kammergrößen Sprengminen in Form von Interpellationen präparierten, war es klar, daß dem Premierminister bewegte Wintermonate bevorstehen würden. Dennoch trat die Rechte zunächst weniger hervor; kleine Vorpostengefechte in den Ausschüssen, hie und da Budgetabstriche; aber die Generaloffensive blieb aus. Die erfolgte erst am 24. Dezember in der Kammer, und zwar nicht durch einen ausgesprochenen Parteigänger der Rechtsfraktionen, sondern durch einen Freiwilligen von der Linken, durch Herrn Klotz, der der sozialistisch-radikalen Partei angehört und seit längerem die Pfeile seiner Sehnsucht nach den freundlichen Ufern sendet, die die Herren Clemenceau und Tardieu beherbergen.

Herr Klotz ist sicherlich kein bedeutender Staatsmann. Ist es aber wahr, daß ein strebsamer Politiker einen kleinen Schuß Demagogie im Blute haben muß, so hat Herr Klotz am vergangenen Sonnabend mindestens die Gesellenprüfung bestanden.

Es ist eine volkstümliche Legende in Frankreich, daß der deutsche Steuerzahler neben dem französischen auf Rosen gebettet sei. Herr Klotz faßte diese Stimmung in die gefährliche Frage zusammen: ob der französische Steuerzahler nach der Konferenz von Cannes der Gefahr ausgesetzt sein werde, an Stelle des deutschen Steuerzahlers abermals in den Säckel greifen zu müssen. Und Herr Klotz, durch die Eröffnungsfrage gleichsam ins Rollen gekommen, fragte noch sehr viel. Ob zum Beispiel der Wiedergutmachungsausschuß beauftragt worden sei, die Frage des innern deutschen Anleihedienstes zur Sprache zu bringen. Und überhaupt was und wie Deutschland in den nächsten Jahren zahlen werde. Es ist bekannt, daß ein Tor mehr fragt, als zehn Weise beantworten können.

Herr Briand antwortete trotz alledem. Zunächst mit jener Festigkeit in Wort und Gebärde, die die Häupter einer Kammeropposition zwar nicht einschüchtert, da sie alle aus eigener Erfahrung diese Kunststückchen kennen, die aber doch geeignet ist, den vielen Mitläufern zu imponieren und ihnen beweist, daß der leitende Regierungsflötist noch nicht beim letzten Loche angekommen ist. Herr Briand versicherte, daß Frankreich nicht im Traum daran denke, in Cannes etwas von seinen Garantien zu opfern; von einer Revision des Versailler Vertrages und von einem Verzicht auf die ihm zustehenden Wiedergutmachungen könne gar nicht die Rede sein.

Das sagte Herr Briand zu Anfang. Als der unermüdliche Fragesteller aber weiter im Texte fortfuhr, als wäre nichts gewesen, da beherzigte er allerdings das gute Sprichwort, daß auf einen groben Klotz ein ebensolcher Keil gehöre und wurde schnoddrig. Es war keine fromme Engelszunge, die am Nachmittag des 24. Dezember frohe Botschaft verkündete, sondern das spitze Sprachorgan eines rücksichtslosen Rhetors, das mit Verwegenheit und Sarkasmus die Opposition zu Paaren trieb und schließlich dem Interpellanten die halb großartige, halb verlegene Erklärung abnötigte, er habe der Würde der Regierung nicht zu nahe treten wollen. Die Regierung behielt Oberwasser. Die Interpellationen über die äußere Politik wurden bis Mitte Januar vertagt.

Vielleicht hat Briand seinen letzten Sieg über die ungeduldigen Klötze erfochten. Die Konferenz von Cannes wird die Aufrollung des gesamten Reparationsproblems bringen. Englands geschmeidiger Politik ist das bisherige System ein zu enges und drückendes Kleid geworden. Briand aber wird dort erscheinen, verfolgt von den Wünschen und Drohungen der Intransigenten. Poincaré hetzt und wartet auf seine Stunde, und Clemenceau hat soeben als Abflußbecken für seine Galle eine neue entschieden oppositionelle Tageszeitung angekündigt. Ein Premierminister, der auf englische Intensionen eingeht, kann einen netten Empfang erwarten.

Nun ist es aber eine ebenso unumstößliche Tatsache, daß die bisherigen Methoden eines orthodoxen Nationalismus zwar die nationale Überheblichkeit einer an Zahl nicht überwältigenden Schicht gesteigert haben; dafür aber hat auch die wirtschaftliche Depression zugenommen, und in weiten Kreisen des werktätigen Volkes gewinnt ein gefährliches Mißbehagen an der ganzen bisherigen Politik überhand. Der Staatsmann, der nach Cannes erklärt, daß Frankreich, wie bisher, unbeugsam geblieben sei und den Engländern keine Konzession gemacht habe, würde außer einem Eintagstriumph keinen weiteren Dank einheimsen, sondern doppelt verantwortlich gemacht werden, wenn Frankreichs »Erfolg« sich späterhin nicht in wirtschaftliche Substanz und klingende Münze umsetzen ließe. Mit »Gloire« macht man auf die Dauer nicht einmal einen nationalistischen Parlamentarier satt.

An und für sich ist Herr Briand kein Mann des starren Systems. Er ist biegsam und könnte seinem ganzen Wesen nach sehr gut den Übergang bilden zu einer Regierung demokratischer Prinzipien nach innen und außen. Heute steht er zwischen zwei Feuern und muß bald der einen, bald der anderen Seite mit ein paar Konzessionen den Mund stopfen. Seine Aufgabe in Cannes ist die denkbar schwierigste: denjenigen zu genügen, die jetzt bei der Behandlung der Reparationsfrage eine Art Moderne bilden, d.h. mehr wirtschaftlich als hurrapatriotisch denken, und andererseits jedes Zugeständnis an diese Richtung zu maskieren, damit der nationale Block (man könnte mit gleichem Rechte sagen: Klotz) nicht in Aufruhr gerät.

Von den älteren Politikern ist Briand vielleicht der einzige, der den Gedanken an ein solches Spiel hegen darf. Die Rechtsopposition ist inzwischen an Keckheit und Rücksichtslosigkeit gewachsen und läßt sich nicht mehr mit Erklärungen abspeisen, deren »starke« Geste die innere Unsicherheit des Kabinetts nicht ganz verhüllen kann.

Das ist der Sinn des Frage- und Antwortspiels vom 24. Dezember.

Berliner Volks-Zeitung. 28. Dezember 1921


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