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Freude an der Komödie
Das Theater in der Vorstadt

Draußen in Lichtenberg, in der Aula der Gemeindeschule Holteistraße hat sich ein Theater aufgetan. Der Magistrat von Lichtenberg hat eine Jugendbühne gegründet, um dem jungen Volk, das sich heute allzu leicht auf der Straße herumtreibt, etwas leichte, angenehme Unterhaltung zu bieten. Beileibe keine schwere Kost, die entweder nicht verstanden wird oder langweilt. Man spielt das Allereinfachste, aber man spielt es gut. Ohne Clownerien, ohne Varietémätzchen. Man muß wirklich nach Lichtenberg reisen, um das zu erleben. Der Direktor Bohengerdt hat sich ein sehr nettes Ensemble zusammengestellt. Man spielte drei Einakter: von Hans Sachs [den] unverwüstlichen Schüler, der mit Botschaft aus dem Paradies die dumme Bauersfrau neppt, den Vetter aus Bremen von Theodor Körner und einen Schwank von Roderich Benedix. Gemeinsam ist allen drei Stücken die harmlose Heiterkeit, aber an natürlichem Humor schlägt doch der alte Hans Sachs seine Nachfahren.

Die Ausstattung war einfach, die Pausen wurden durch Klaviervorträge verkürzt. Man erlebte keine künstlerische Offenbarung, aber allerhand Wunder. Vor allem: ein Publikum, das mit Andacht folgte, das den Gang der Handlung nicht mit Hustenanfällen unterstrich, das nicht mit Stullenpapier auf eigene Faust musizierte, das überhaupt verblüffend wenig aß. (Man denke an den Butterbrotkonsum in unseren Theatern der »feinen Leute«.) Freude an der Sache, Aufnahmefähigkeit, man muß in Arbeitervierteln an die Grenzen der großen Stadt gehen, um das zu finden. Wir wünschen dem Unternehmen ein glückliches Gedeihen. Dieser eine Besuch erinnerte uns daran, daß es doch noch etwas anderes gibt als ein sensationssüchtiges Premierenpublikum. Daß es noch Großstadtvolk gibt, das in der Hochkonjunktur der Kinos die naive Freude am Theaterspielen hat. Das glücklich ist. wenn buntgekleidete Menschen zwischen schäbigen Kulissen agieren. Das Kino ist eine fabelhafte Lockung. Namentlich wenn man rettungslos dem Ausstattungsfimmel verfallen ist. Und doch ... was sind die bloßen Grimassen neben dem Spiel sprechender Menschen. Alles ist im Schauspiel der Klang der Stimme.

Die Freude an der Komödie ist unverwüstlich. Man erzählt, daß in der Blütezeit des altenglischen Theaters Matrosen auf hoher See, die monatelang kein Land gesehen hatten, Szenen aus den damals beliebten Stücken schlecht und recht mimten, um die unerträgliche Öde der grauen Tage zu überwinden. Das Theater ist heute durchweg eine Angelegenheit der Spekulation. Das Theater ist heute durchweg eine Angelegenheit der zahlungsfähigen Leute. Aber das Theater ist in seinem tiefsten Wesen eine Sache der Gemeinschaft. Alles was den einzelnen Menschen freudvoll oder leidvoll bewegt, alles was ein Volk im Guten wie im Bösen bewegt, kann das Theater wiedergeben, auch wenn seine Mittel unendlich bescheiden sind – nur muß es getragen werden von einem Gesamtwillen. Daran mitzuwirken, könnte eine schwierige, aber dankbare Aufgabe der Gemeinden sein. Denn das Theater ist demokratisch wie seine beiden ewigen Motive ... die Liebe und der Tod!

Berliner Volks-Zeitung. 6. März 1921


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