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Der rote Bismarck

In Lübeck haben einige dumme Jungen nächtlicherweile das am alten Bahnhof stehende Bismarck-Denkmal von oben bis unten mit rotem Anstrich bedeckt. Ohne Zweifel haben die farbenfreudigen Missetäter den natürlichen Zweck eines Denkmals verkannt. Immerhin wird der gerötete Lübecker Bismarck sensitive Künstlerseelen kaum ärger verletzen als es die große Marmormanufaktur im Berliner Tiergarten tut.

Die »nationale« Presse schreit Zetermordio und fordert stürmisch das Blut der Attentäter. Nun fand aber in diesen Tagen im ehrwürdigen Lübeck eine nicht geräuschlose Tagung des Deutschen Kriegerbundes statt, und damit nicht nur das Ohr, sondern auch das Auge auf seine Rechnung kam, war für reichlichen Flaggenschmuck Vorsorge getragen, und die stets patriotisch-tüchtige »Kreuzzeitung« kann mit Stolz verbuchen, daß auch einige öffentliche Gebäude schwarzweißrot prangten.

Lieber Gott, man versteht jetzt einigermaßen, warum erhitzte Republikaner zum Farbtopf griffen. Ich billige nicht die Parole »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, aber wenn die Monarchisten der Republik ein Kleid umtun, das sie sich mit Recht verbitten darf, so ist es weiter nicht verwunderlich, wenn in mißverstandener Abwehrmaßnahme nun der Heros der Herrschaften mit einer Farbenpracht beehrt wird, die er bei Lebzeiten vermutlich mit Energie abgewehrt hätte.

In der City Hamburgs steht in der Nische eines Kontorhauses im Staub und Lärm der Spitaler Straße das Denkmal des deutschen Dichters Heinrich Heine, über dem einst der Himmel Korfus blaute, bis der neue Besitzer des Achilleions, der kein Geringerer war als der zweite Wilhelm, an der weißen Marmorstirn des kranken Dichters Anstoß nahm und ihn meistbietend verramschte.

Die Spitaler Straße in Hamburg ist nicht schön. Aber viel weniger schön ist der Bretterverschlag, der seit Jahr und Tag den steinernen Dichter vor den Tätlichkeiten der deutschnationalen Mitwelt schützen muß. Weder der »Kreuzzeitung« noch einer ihrer Schwestern ist es bisher eingefallen, ein Wort nur gegen die wiederholte Besudelung des Heine-Denkmals zu sagen.

Wir sind heute noch nicht so weit, um die Gefühle anderer in ästhetischer Weise ertragen zu können und lassen unsere kleine Wut, ohne uns zu schämen, an wehrlosen Bildsäulen aus.

Von einem fernen Stern blicken Heine und Bismarck lächelnd auf unsere Narrenwelt herab ...

Berliner Volks-Zeitung, 18. August 1921


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