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Von Kahr zu Lerchenfeld Stimmungswechsel – Der neue Mann – Die Stellung der Bayerischen Volkspartei – Die Isolierung der Deutschnationalen – Reaktionäre Geheimbündelei – Die Bauerninvasion – Überbleibsel des Kahr-Regimes

(Von unserem Sonderberichterstatter.)
München, 27. September

Die große Ernüchterung in Bayern ist eingetreten. Die führenden Politiker der Linksparteien sehen die Situation als entspannt an und den Weg frei für ein neues liberaleres Regiment. Dennoch ist den Optimisten äußerste Behutsamkeit zu empfehlen. Zwar ist Kahr gegangen, aber die Reaktion, die ihn trug, lebt noch. Noch beherrscht sie das flache Land. In München selbst scheint allerdings die Rolle der Xylanderiche ziemlich ausgespielt zu sein. Man ist der ewigen Aufregung, der permanenten Putschatmosphäre herzlich müde. Und wenn etwas bezeichnend für den Wandel der Stimmung ist, so das eine, daß an den Nachrichtentafeln der Zeitungen in den Straßen noch immer das Telegramm vom 21. September klebt, welches Lerchenfelds Wahl zum Ministerpräsidenten meldet. Sichtbares Zeichen, daß die bayerische Weltgeschichte sich nach dem Eilzugstempo der letzten Wochen wieder auf eine langsamere Fortbewegung einstellt.

Der neue Mann hat sich weniger durch sein Programm als vielmehr durch die Art seines Auftretens im Laufe einer einzigen Landtagssitzung außergewöhnliche Sympathien erobert. Ein kultivierter Mann, dessen schlichte und natürliche Noblesse mehr überzeugt als sprudelnde Beredsamkeit. Man rühmt ihm Sachlichkeit nach und Phrasenlosigkeit, er rührt an das Herz der Dinge, er hat den Ernst des verantwortlichen Politikers ohne die bureaukratische Schwere seines Vorgängers. Die Zukunft wird erweisen, ob er auch Ellenbogen hat.

Die Aufgabe des Grafen Lerchenfeld ist eine außerordentlich schwierige. Er ist der erwählte Mann der Bayerischen Volkspartei, der herrschenden Partei (deren Grenzen jetzt allerdings durch die Rechtsradikalisten etwas gefährdet sind). Die Demokraten stützen ihn, und die Sozialisten zeigen bis jetzt eine wohlwollende Neutralität und ein nicht geringes Maß von Hoffnung. Die Bayerische Volkspartei hat eine schroffe, aber den Kenner der Sachlage nicht überraschende Schwenkung vollzogen. Es war wie beim Billardspiel. Die Volkspartei gab dem weißen Ball Kahr allzu viel Linkseffet, er geriet aus der Bahn, überpurzelte sich ein paarmal in der Luft, schien noch einmal aufs grüne Tuch zurückzukehren und verschwand dann endgültig von der Spielfläche. Nun ist ein neuer Ball eingesetzt, die Partie beginnt von neuem; Marqueur ist Herr Held von der Bayerischen Volkspartei. Herr Held hat in den beiden Wochen seinem anspruchsvollen Namen Ehre gemacht. Er hat wie ein Löwe gekämpft; er hat den Wandel in seiner Partei durchgesetzt –, er hat Kahr gestürzt. Natürlich kann der Gesundungsprozeß der Partei nicht von heute auf morgen vor sich gehen. Die Sozialdemokraten wissen das und sind klug genug, der Nachbarpartei eine Atempause zu gewähren. Langsam vollzieht sich in der Volkspartei eine neue Sammlung; eine Angleichung an die Politik des Zentrums im Reiche bereitet sich vor. Dieser Umstand ist von höchster Bedeutung für die gesamte Reichspolitik: damit ist den partikularistischen Sonderbestrebungen gewisser Kliquen das Genick gebrochen, und keine Münchener Extratouren können fürderhin das Reich in krisenhafte Situationen bringen. Zugleich aber bereitet sich in der Mittelpartei selbst ein Bruch vor. Die Deutsche Volkspartei zeigt Neigung, auszutreten, und deutet ihren Wählern bereits sachte diese Möglichkeit an. In ein paar Wochen schon kann die Sprengung der Mittelpartei vollzogene Tatsache sein. Damit wäre die Isolierung der Deutschnationalen vollkommen.

Die Wut der Herrschaften über das allgemeine Abrücken jener Parteien, die sie bisher teils durch Verführung, teils durch offenen Terror in Bann gehalten haben, ist grenzenlos. Man kann ihnen das eine nicht bestreiten: sie haben Energie entfaltet und haben es sich Geld kosten lassen; in die Presse allein sind von ihnen 35 Millionen Mark gesteckt worden. (Namentlich die kleine Presse auf dem flachen Lande wurde überreichlich gespickt.) Jedoch das Allzuviel hat nicht gut getan: die Parforcepolitik hat den Deutschnationalen schließlich den Atem geraubt –, und den anderen die Augen geöffnet. Wenn man von reaktionärer Geheimbündelei in Bayern spricht, denkt man zunächst immer an die Organisation des Herrn Escherich. Die Orgesch war aber infolge der Redseligkeit ihres Managers nur die geräuschvollste dieser Gründungen; andere, von denen weniger verlautete, waren tatsächlich gefährlicher. Da war zunächst die »Orka« des Herrn Kanzler in Rosenheim, welcher in ständiger Verbindung mit den Kappisten Ehrhardt, Bauer, Bischoff und Pabst stand. Herr Kanzler war auch der Verbindungsoffizier für die stockreaktionären Tiroler Heimatwehren. Die Zentrale aller dieser Unternehmungen bedeutete die » Osthandelsgesellschaft« im Münchener Ringhotel, welche mit Budapest, wo Oberst Bauer saß, Hand in Hand arbeitete. Das finanzielle Rückgrat jedoch bildete die » Orzentz« des Kommerzienrats Zentz, an der in erster Linie die Herren Kommerzienrat Böckel, Justizrat Mössmer und Kommerzienrat Kannengießer beteiligt waren. Diese Institution zahlte der politischen Polizei des Herrn Pöhner beträchtliche monatliche Subsidien. Das sind nur ein paar kleine Andeutungen; jedenfalls werden im Laufe der nächsten Wochen noch allerhand Eiterbeulen platzen. Schon heute herrscht in den »nationalen« Kreisen Münchens eine große Nervosität; denn mancher hat mitgemacht und Geld hergegeben, ohne sich dabei viel zu denken und steckt nun heute, wo das wahre Gesicht dieser ganzen parallel laufenden und vielfach miteinander verflochtenen Bewegungen zutage tritt, arg in der Bredouille. Bei der gegenseitigen Abrechnung, die jetzt einsetzt, steht noch mehr als eine Bloßstellung bevor.

Ein ganz besonderes Kapitel in der Darstellung dieser mysteriösen Organisationen gebührt der » National-Sozialistischen Partei« eines sichern Hitler, der allgemein als das Protektionskind des Herrn Polizeipräsidenten gilt. Man hat durchweg außerhalb Bayerns in dieser »Partei« nicht mehr gesehen als eine Krakeelerbande und Stuhlbeingarde. Das ist ein Irrtum: es handelt sich hier um einen äußerst raffiniert arbeitenden und äußerst skrupellosen Geheimbund und eine Stoßtruppe der Gegenrevolution; um ein Sammelsurium allerdings von grünen Jungen und ergrauten Katilinariern, aber jedenfalls desperaten und zu allem fähigen Burschen. Dieser Gesellschaft ist es gelungen, in München selbst eine Pogromstimmung vorzubereiten, die ihren Höhepunkt am Tage der Landtagseröffnung erreichte, an dem vielleicht nur durch das feste Auftreten der Führer der Bayerischen Volkspartei und der Demokraten eine Wiederholung des blutigen Februartages von 1919 verhindert wurde, an dem Eisner von einem »patriotischen« Mordbuben niedergestreckt wurde, während Erhard Auer fast der dadurch provozierten Bestie der Gegenpartei zum Opfer gefallen wäre. An diesem Tage, gerade als der krisenhafte Zustand fast unerträglich geworden war, wurden Flugblätter verbreitet gegen die »Saujudenregierung« in Berlin und gegen die »verräterischen Führer« der Bayerischen Volkspartei. Oppositionelle Politiker und Publizisten sollten durch Ankündigungen von bevorstehenden Mordanschlägen eingeschüchtert werden; so daß schließlich einige Zeitungsredaktionen um polizeiliche Besetzung ersuchen mußten. Überaus bezeichnend ist es, daß, als schließlich doch die Polizei einige der Flugblattverteiler festnehmen mußte, darunter einer als – Polizeibeamter entlarvt wurde. Die »Orzentz« zahlte eben ihr Geld nicht umsonst.

Während also die Hitler-Partei in der Stadt zum Losschlagen bereit war, waren indessen die rechtsbolschewistischen Agitatoren auf dem Lande draußen nicht untätig. Ihre Wirkung war namenlos verwüstend. Namentlich im Chiemgau war es ihnen gelungen, die Bauern aufzuputschen, und fast hätte am Mittwoch und Donnerstag der vorigen Woche München eine Bauerninvasion zur Rettung des Herrn v. Kahr erlebt. Noch heute bildet die Verhetzung der Bauern die ernsteste Gefahr der neuen Regierung und das Haupthindernis einer neuen Ära überhaupt. Wenn Lerchenfeld Gefahren drohen, dann von dieser Seite.

Der neue Mann wird also nicht allein Diplomatie zu zeigen haben, sondern auch Kraft und Charakterstärke. Er hat einen günstigen Eindruck gemacht, und viele an und für sich sehr heterogene Elemente, einig nur in der Absage an das verflossene Regime, sind zu seiner Unterstützung bereit. Die Kommunisten, das muß entschieden betont werden, bilden kein Hindernis. Denn sie sind in der Tat nur eine kleine Gruppe und erfreuen sich, bis in die Kreise der sozialistischen Arbeiterschaft hinein, einer fabelhaften Unbeliebtheit. Die Besinnung kehrt zurück; deshalb ist es höchste Zeit, daß endlich Schluß gemacht wird mit der albernen amtlichen Bespitzelung der oppositionellen Politiker. Noch heute stehen die prominentesten davon unter Telephonzensur. Geschah es doch vor einigen Wochen, als der Vertreter eines Kölner demokratischen Blattes einen wahrheitsgemäßen Bericht der so maßlos aufgebauschten Teuerungsdemonstrationen an seine Zeitung berichten wollte, daß das Telephonfräulein kurzweg erklärte, das dürfe sie nicht durchgeben und die Verbindung trennte. Solche Läppereien müssen natürlich aufhören; ohne weiteres sei der neuen Regierung eine Übergangszeit zugebilligt, aber mit gewissen Dingen muß von vornherein aufgeräumt werden, wenn ein neues Vertrauensverhältnis zwischen der Regierung und den freiheitlich Gesinnten, überhaupt ein großer und starker Block aller Vernünftigen sich entwickeln soll.

Es heißt jetzt: weiterschreiten! Ein Zurück zu Kahr ist nicht mehr möglich. Auch eine gleichsam unterirdische Kahr-Politik würde als Anachronismus wirken und nur neue Schwierigkeiten und Verwicklungen hervorrufen. Unendliches hat die bayerische Politik in den letzten anderthalb Jahren am Reich und am eigenen Lande verbrochen. Und gerade das möge diesen nochmaligen Rückblick rechtfertigen. Denn das Regime Kahr ist mehr als eine betrübliche Episode aus der bayerischen Staatsgeschichte, es ist eine furchtbare Warnung für das ganze deutsche Volk.

Berliner Volks-Zeitung. 27. September 1921


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