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»Nur so, auf das gute Schwert gestützt, können wir den Platz an der Sonne erhalten, der uns zusteht, aber nicht freiwillig eingeräumt wird.«
Ähnlichen Äußerungen begegnen wir tagtäglich in unserer nationalistischen Presse. Daß diese gerade der Feder des deutschen Kronprinzen entstammt, macht sie zwar nicht bedeutender, aber wesentlich bedenklicher. Auch ist sie als Symptom dafür anzusehen, wie sehr ein Grundirrtum Gemeingut aller Stände werden kann. Bei uns herrscht eine namenlose Überschätzung des Militarismus. Mars, der rabiate Kriegsgott, erlebt sein goldenes Zeitalter. Nirgends wird ihm mehr geopfert; nirgends ist seine Autorität größer, nirgends der Glaube an das Schwert stärker. Der letzte alldeutsche Zeilenschinder träumt von der weltbeglückenden Sendung der Bajonette. Der deutsche Kronprinz verkündet ein Evangelium des Krieges und tut die Weltfriedensidee mit wenigen energischen Worten ab:
»Diese Lebensauffassung ist undeutsch und steht uns nicht an.«
Wir zweifeln nicht, daß publizistische Lakaienseelen für die Verbreitung der echt-»deutschen« Lebensauffassung die nötige Sorge tragen werden. Ein gefährliches Spiel, dessen Sinn die einen schlecht, die andern nur zu gut verstehen!
Trotzdem der Rüstungstaumel ganz Deutschland ergriffen zu haben scheint, ist er doch mehr preußischen Ursprungs. Auch die heutige preußische Regierung kann noch nicht darüber hinwegkommen, daß Preußen einmal der Militärstaat sans phrase war. Die historische Bedeutung soll nicht verkannt werden. Im Herzen Europas, umspannt von raublüsternen Großstaaten und ohnmächtigen Duodezländchen, hat Brandenburg-Preußen sich schonungslos und zähe zu einer Territorialmacht ersten Ranges emporgearbeitet. »Die Hohenzollern haben sich großgehungert«, versichert die byzantinische Geschichtsklitterung. Die Völker mögen oft genug gehungert haben. Die Fürsten hatten das erfreulicherweise nicht nötig. Das Unglück wollte es, daß die Aufwärtsentwicklung Brandenburg-Preußens in die Zeit des stärksten fürstlichen Absolutismus fiel. In jene Zeit, da die großen Armeen die Länder arm fraßen und doch nur persönliche Werkzeuge von Fürsten bildeten, die selber wieder nichts als Instrumente heimtückischer Kabinettspolitik waren. Diese absolutistische Vergangenheit kann Preußen nicht verleugnen. Seit Jahr und Tag redet man offen von einer Nebenregierung des Militärkabinetts. Bezeichnend ist auch die Art des Auftretens der Militärverwaltung im Parlament. Brauchen wir noch an das Vorhandensein einer privilegierten Offizierskaste zu erinnern? Das Bürgertum nimmt diese Dinge genau so selbstverständlich hin wie vor Zeiten die autokratischen Exzesse. Der Militarismus ist zum Moloch geworden, der mit dumpfem Staunen beglotzt wird, wie er ein Opfer nach dem andern verschlingt.
Vielleicht war der Militärstaat einmal eine geschichtliche Notwendigkeit. Heute verdient er keinen Nimbus mehr. Die Entwicklung ist andere Wege gegangen. Auch Preußen-Deutschland erobert nicht mehr mit militärischen Mitteln. Handel und Gewerbe sind die Großmächte unserer Zeit, und deutscher Fleiß hat sich überall in der Welt eine glänzende Position errungen. Nicht der Kriegsmann – der Kaufmann, der Arbeiter erobert die Welt. Deshalb macht Deutschland mit seiner militaristischen »Kultur« durchaus nicht den eingebildeten furchtbaren Eindruck auf das Ausland; viel eher trifft man auf befremdetes Lächeln. Zwar scheinen die Auswüchse des Kapitalismus eine permanente Kriegsgefahr geschaffen zu haben; aber die wirtschaftliche Entwickelung reißt immer mehr Schranken nieder, die früher unüberwindlich schienen. Wie atavistisch wirkten doch die letzten Äußerungen alten Nationalitätenhasses in unseren Tagen der erbittertsten Klassenkämpfe! Die Militärstaaten finden keine Arbeit mehr. Sie haben sich überlebt. Trotz modernster Heereseinrichtungen kommen sie uns altmodisch und verknöchert vor. Sie sind in ihrem tiefsten Kern reaktionär. Schließlich stammen sie nicht umsonst aus absolutistischer Zeit. Und so dient auch bei uns die Armee in erster Linie zur »Wahrung des Althergebrachten«. Sie ist das Werkzeug der Reaktion, die schlimmste Hemmung einer volkstümlichen Entwicklung. Sie ist mit ihren maßlosen Forderungen ein Staat im Staate.
Und dieser traditionelle Zustand wird vom Bürgertum willig hingenommen.
Der Kriegsgott lebt im Überfluß. Er braucht kaum mehr zu fordern. Alles fliegt ihm zu. Vielleicht geht er noch an Überfütterung zugrunde. Die paar Vernünftigen sind beiseite gegangen und betrachten resigniert die Bewilligungsorgien. Wenn jungen Mädchen (zwischen sechzehn und fünfundvierzig) die Ehre widerfährt, sich an der Seite eines leibhaftigen Leutnants öffentlich zeigen zu dürfen, nehmen sie gern jene verzückte Miene an, die verbissene Junggesellen »albern« nennen. Das gleiche Antlitz zeigt Frau Germania, wenn der unmanierliche Kriegsgott ihr als Kavalier zur Seite geht. Ja, albern und charakterlos ist die Lobhudelei und Beweihräucherung des Militarismus, in der sich das Bürgertum in seiner Gesamtheit gefällt. Wenn jemand die ungeheuren Rüstungen als häßliche Notwendigkeit hinstellt, so ist das bei der kritischen Weltlage allenfalls begreiflich. Aber dieses blinde, urteilslose Vertrauen auf die bewaffnete Macht ist eine wahre Kulturschande. Der Glaube an die Bajonette verdrängt immer mehr die politischen Überzeugungen. Wie die reaktionäre Presse, treibt es auch der größte Teil der Liberalen. Seit langem verleugnet sie die alten Reformforderungen; sie kuscht vor der Militärverwaltung; sie prahlt noch selbstgefällig mit empfangenen Ohrfeigen. Liberalen Blättern blieb es vorbehalten, über die doch wahrhaftig ernsten Liebknechtschen Enthüllungen Kübel läppischen Hohnes auszugießen.
Mars ist sakrosankt. Beschimpft die Majestät; lästert den lieben Gott auf offenem Markte; nennt alle deutschen Richter bestechlich; nur laßt den Kriegsgott in Ruhe! Das verträgt der Spießer nicht.
Und nicht nur der Spießer!
Auch bei den sogenannten Intellektuellen trübt sich das Urteil, wenn es sich um militaristische Dinge handelt. Vor einem halben Jahre etwa ist in deutscher Übersetzung ein Buch des Schweden Gustaf Jansen erschienen: »Lügen«. Geschichten vom Kriege Verlegt bei Georg Merseburger. Leipzig. (nämlich vom Tripoliskriege). Wie unwürdig ist dieses den Stumpfsinnigsten aufreizende Buch in den großen Zeitungen behandelt worden. Gewiß, es läßt sich von den Leutchen nicht verlangen, die Kollegen überm Strich zu desavouieren. Aber meine Herren, wo blieb denn das »Kulturgewissen«, von dem Sie so gern den Mund voll nehmen? Ein Dichter gibt ein paar packende Bilder von moderner Kriegsbarbarei. Und Sie glauben, so ein Buch wäre mit Ihren dürftigen Reporterwitzen abgetan? –
Etwas diplomatischer gebahrten sich schon die Kollegen von den Literaturblättern. Hier ließ man die künstlerischen Qualitäten des Buches gelten, strich sie sogar doppelt heraus, um nachher die Tendenz desto schärfer zu verurteilen. Es ist verblüffend, wie viel Militäranwärtersinn sich bei solchen Gelegenheiten auch bei Männern zeigt, die sonst gar nicht genug ihre intellektuelle Erhabenheit über alle Dinge des öffentlichen Lebens betonen können. Sobald Mars naht, stehen sie stramm, die Hände an der Hosennaht.
Was fehlt noch an der Apotheose des Kriegsgottes?
Nur die Demokratie bekämpft zielbewußt den Militarismus. Will der Liberalismus das wirklich ohne Widerspruch hinnehmen? Es scheint so! Sonst könnte er nicht seine eigenen Forderungen so bereitwillig zurückstellen und mit in das chauvinistische Gebrüll einstimmen. Beschönigen wir nichts! Die nationale Presse nährt ein Kriegsfeuer, das bei jedem der leider so häufigen »Zwischenfälle« hell auflodert. Jeder gute Bürger ist sich darüber klar, daß es demnächst – aber wann? – »losgehen« wird.
Unser Platz an der Sonne muß ja behauptet werden!
Den Chauvinisten zum Nachdenken, daß die eben zusammengekrachte Türkei ein Militärstaat in Reinkultur war! Einst, als sie noch in Asien hausten, sahen die osmanischen Türken in Europa ihren natürlichen »Platz an der Sonne«. Und die Ecke, die sie erhaschten, haben sie jahrhundertelang mit allen Mitteln einer radikalen Säbelherrschaft behauptet. Doch als sich der große Sturmwind erhob, wurde das osmanische Reich, dieses waffenstarrende Gebilde, wie ein Kartenhaus zusammengeblasen.
Unsere Regierung ist nicht verpflichtet, aus Katastrophen zu lernen. Wenn es nur das Volk täte! Aber die »nationale« Presse verhindert die Aufklärung; Generäle mit merkwürdig viel freier Zeit reisen im Lande umher, um die nötige Begeisterung anzufachen; Reserveoffiziere, die keine andere Meinung haben dürfen als die ihrer Vorgesetzten, tragen die kriegerische Stimmung in die Familien, und damit auch die Kinder nicht leer ausgehen, arbeiten die Jungdeutschlandbünde auf eine vollkommene militärische Verblödung hin. In Frankreich wagt ein Mann vom Weltrufe eines Anatole France gegen den Rüstungstaumel zu reden. Erhebt sich nicht auch bei uns eine Stimme von Ernst und Gewicht, die den Trubel des militaristischen Karnevals übertönt! Aber schließlich, was dürfte so ein Wüstenprediger ausrichten? Nach ein paar Worten würde man ihm zuschreien: »Diese Lebensauffassung ist undeutsch und steht uns nicht an!!« Viel lieber lauscht man der Autorität des Kronprinzen, wie er in satten Farben eine Reiterattacke malt.
»Wer solche Attacke mitgeritten hat, für den gibts nichts Schöneres auf der Welt. Und doch: noch eines erscheint dem echten Reitersmann schöner: Wenn alles dies dasselbe ist, aber am Ende des schnellen Laufes uns der Feind entgegenreitet und der Kampf, für den wir geübt und erzogen sind, einsetzt: der Kampf auf Leben und Tod.
Wie oft bei solcher Attacke hat mein Ohr den sehnsüchtigen Ruf eines daherjagenden Kameraden aufgefangen: ›Donnerwetter, wenn das doch ernst wäre!‹ Reitergeist! Alle, die rechte Soldaten sind, müssen's fühlen und wissen: ›Dulce et decorum est pro patria mori!‹«
Wir halten den Gedanken des kommenden Krieges für zu furchtbar, um mit ihm kokettieren zu können. Aber unsere Mißstimmung will nicht recht aufkommen bei der tapferen Versicherung des deutschen Thronfolgers, wenn es einmal blutiger Ernst wird, in der ersten Reihe zu kämpfen – –