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Eine notwendige Mahnung
An die schreibenden Militärs

Man weiß es von Männern, die in Kriegsgefangenschaft gewesen sind, daß über allen Gesprächen der Unseligen wie ein unentrinnbares Schicksal die Erinnerung an die vergangene Soldatenherrlichkeit schwebte. Und mochte die Unterhaltung beginnen mit der Viehzucht in Ostpreußen oder dem Wesen der expressionistischen Malerei ... nach fünf Minuten war man todsicher angelangt beim Griffekloppen in Neumünster oder der Verpflegung in Beverloo oder dem Übungsplatz bei dem oder dem Kaff. Weit, weit vom Schuß, hinter Draht und Holzpflöcken entfaltete der »Dienst« nochmals seine grauen Fledermausflügel, und alle standen in seinem Schatten. Der Mensch bäumte sich, aber der Mechanismus war stärker.

Daran wird man irgendwie erinnert, wenn man heute vor einem Bücherladen stehen bleibt. Der Krieg ist verloren und zu Ende; niemand kann den Haufen Papier, auf dessen oberstem Blatt »Versailles« steht, überspringen. Das Heer Ludendorffs und Mackensens wird mählich Vergangenheit. Aber die Militärschriftstellerei blüht so, als müßten schon morgen die strategischen Lehren des Weltkrieges beherzigt werden. Oberst Klapp schreibt über die erste Marneschlacht, General Schwapp über die zweite und Major Papp über beide zusammen. Ypern, Verdun, Rumänien, die Verwendbarkeit der Kavallerie im Hochgebirge, die letzten Verbesserungen der Festungsartillerie, alles wird in ebenso sachkundigen wie überflüssigen Abhandlungen und Büchern breitspurig erörtert. Es ist ein einziger großer Ausverkauf.

Gewiß, alte Militärs lassen nicht so leicht von dem Handwerk, mit dem sie sich verwachsen fühlen. Vielleicht hält auch der Oberstleutnant Soundso nach seiner Verabschiedung in wirtschaftlichen Nöten die Schriftstellerei für eine Profession, die ihren Mann ernährt. Bester Herr Oberstleutnant, glauben Sie mir, der manche Jahre an dieser zähen Speise kaut, daß das heilloser Irrtum ist. Also nicht Sie, meine Herren Spezialisten für Gasangriffe und ähnliche humane Errungenschaften, tadle ich, wohl aber die Herren Verleger, die in Massen militärwissenschaftliche Literatur auf den Markt werfen, aber jungen Dichtern, die Freude ins Volk bringen könnten, die Manuskripte ungelesen zurückschicken, weil Klapp mit seinen 600 Seiten Marneschlacht vorgeht. Und Goethe nicht neu drucken, weil Schwapp und Papp in Großquart über Dinge schreiben müssen, die uns wirklich weniger sind als Hekuba. Wir aber gehen vorüber an den dickwanstigen Wälzern mit Karten und Aushängebogen, und wenn wir Ypern lesen und Soissons und Verdun und Karpathen, dann denken wir nicht an strategische Probleme, sondern an Gräber und Krüppel.

Herr Oberstleutnant und Stabschef, der Krieg ist verloren und zu Ende. Warum ständig dieses Aufreißen von Wunden? Warum dem deutschen Volke, das in seiner Harmlosigkeit niemals von Ihnen Rechtfertigung verlangt hat, nun diese endlosen Plaidoyers aufdrängen? Oder erwarten Sie den Richterspruch der Geschichte, und alles was Sie schreiben, wäre nur Material für künftige Verteidigung vor diesem höchsten Tribunal?

Schweigen Sie, meine Herren, schweigen Sie! Vielleicht wird Klio Sie vergessen.

Es wäre ein unerhörtes Glück für Sie ...

Berliner Volks-Zeitung, 8. Januar 1921


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