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Lustspielhaus »Hahnenkampf«

Dieser Heinrich Lautensack war ein Genie, wie es der junge Goethe war, der die rustikalen Szenen des »Götz« aufs Papier warf, wie der unglückliche Lenz, der die »Soldaten« schrieb und den »Hofmeister« und früh in die Nacht des Wahnsinns versank. Reinhold Lenz und Heinrich Lautensack, Schicksalsgenossen. Am Wege gestorben ohne letzte Vollendung, unter Hinterlassung einer Reihe fragmentarischer Werke, die dennoch mehr dichterische Kraft verraten als manche sorgfältig durchgefeilten und technisch einwandfreien Kunststücke.

Lautensacks Domäne ist das Volk des bayerischen Waldes. Ein kräftiger, sinnlicher Menschenschlag, fromm und verschlagen, ohne zur Rebellion gegen die Obrigkeit veranlagt zu sein, doch dem Gesetze nur in dem Grade Untertan, den sein eigenmächtiger Wille gestattet. Da kommt es vor, daß bei nächtlichen Streifzügen in den Wald mal ein Forstbeamter auf der Strecke bleibt, oder wegen einer Liebesgeschichte der Gendarm, dessen blaue Uniform den Lodenröcken allzu aufdringlich Konkurrenz machte, mit einer Kugel in der Stirn morgens draußen auf dem Felde gefunden wird. Die Untersuchung stellt schleunigst »Selbstmord« fest; und wenn auch in den Wirtshäusern allerlei gemunkelt wird, die Obrigkeit »sieht es nicht gern«, daß Übereifrige den mysteriösen Fall aufzuklären bemüht sind. Der Mann ist ja tot; – und warum soll man den andern das schöne Leben unnötig schwer machen?

Der Kampf der Ortshähne geht um ein schönes junges Weib, das sich ohne jede Konzession als Gemeindehure etabliert hat. Jeder, der etwas bedeutet, frequentiert sie. Das bringt manche Mißhelligkeiten mit sich, z.B. der Gendarm, ein dicker, dummer Bauernschädel, beansprucht ein Monopol. Das muß ihm ausgetrieben werden und wird ihm so gründlich ausgetrieben, daß er mit einer Kugel im Kopf zur endgültigen Entsagung genötigt wird. Eine Komödie, die mit einem brutalen Mord endet. Nur ein Genie wie Lautensack durfte dergleichen wagen.

Der Pariser Tristan Bernard hat eine Farce geschrieben, die der »Hühnerhof« heißt. Eine höchst amüsante Sache, wie da die Weibchen den Mann umkreisen. Spaßhaftes Getier, spaßhaft ... bei aller Fadheit. Der Dichter Lautensack, mit süddeutschem Bauernblut in den Adern, sah dieses selbe Gewimmel und Gekrabbel der begattungslüsternen Menschentierchen. Aber bei ihm gibt's keine Galanterie und keine zweideutigen Wortspiele; er ist nicht pikant, sondern derb. Er zeichnet in kräftiger Holzschnittmanier Männer, denen das Geschlecht alles ist und die, auch wenn es sich nur um eine Dame vom horizontalen Gewerbe handelt, den ganzen Menschen einsetzen und kämpfen, bis einer für immer liegen bleibt. Das sind keine expressionistischen Marionetten; die sind blutecht, nicht regiert von Launen des Autors, sondern bewegt vom großen Schaufelrad des Lebens, das den einen auf blühender Wiese absetzt und den andern an hartem Gestein zerschellen läßt.

Lautensack ruht seit zwei Jahren im Grabe. Keine deutsche Bühne hat sich für den Lebenden eingesetzt. Hier ist ein Toter, an dem viel, viel gutzumachen ist.

Unter Saltenburgs Regie leistete das Lustspielhaus eine Aufführung von einer Intensität und Geschlossenheit, wie sie heute in Berlin selten geworden ist. Interieurs und Landschaft erinnerten an Leibls würzige Kantigkeit. Else Bassermann gab die bunte Glucke, um die sich die wilden Hähne raufen. Sehr stark und lebendig, ohne zur Schau gestellte Kraßheiten. Bassermann selbst bewies wieder aufs neue, daß ihn weder Kean noch Kino verderben kann; er ist wie früher der große Naturalist, der aus unendlich vielen Einzelheiten ein rundes Menschenbild formt. Herrmann Vallentin als Gendarm gab mit wunderbarer Schlichtheit Dickköpfigkeit, Eifersucht, Liebesraserei und geschwollenen Amtsdünkel. Man lernt diesen unsympathischen Kerl mit der groben Büttelnatur fast lieben und trauert, wenn der unbarmherzige Rivale ihm schließlich die Flintenkugel in den Brägen schickt. Wie Vallentin in höchster Todesangst hinter dem Baum zittert und das Gewehr seinen Händen entsinkt, das war schlechthin meisterhaft. Herr Manning als weitherziger Polizeichef schloß sich diesem Trifolium würdig an.

Als Nachspeise gab es des unvergeßlichen Otto Erich Hartleben »Sittliche Forderung«. Ein graziöses Stückchen, das man nach Jahren gern wiedersieht. Bassermann und Frau glänzten und wurden mit Recht gefeiert.

Berliner Volks-Zeitung, 24. November 1921


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