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Die Filmerei

Das soll keine Philippika gegen das Kino werden. Ich weiß, daß das zwecklos ist und im günstigsten Falle noch zu ungewollter Reklame führt. Zudem ist in der Filmindustrie heute ein wesentlicher Teil unseres Nationalvermögens investiert, und die Bildstreifen mit dem traurigen Schicksal der Königin Anna Boleyn wirken in Amerika sicher nützlicher als irgendein unfähiger Diplomat. Ich leugne auch nicht, daß der Film höchst aparte ästhetische Reize schaffen kann. Wenn du frisch aus einem expressionistischen Drama kommst, ist die Stummheit der Akteure außerordentlich erfrischend. Diese Schattenwesen gestikulieren zwar und reißen den Mund auf, aber bleiben still wie preußische Rekruten von einst.

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Schattenwesen! Liegt darin nicht eine Kritik? Der alte E.T.A. Hoffmann hätte sicherlich vor unbändiger Freude die skurrilsten Gesichter geschnitten, wenn er das noch erlebt hätte, diese Spiegelbilder, zu ewigem Herumgespenstern verurteilt. Welch ungeheuerliche phantastische Möglichkeiten!

Und hier setzt abermals die Kritik ein. Die heute technisch so hoch entwickelte Filmkunst kann und darf diese Möglichkeiten nicht ausnutzen, weil das Publikum nicht mitmacht. Da, wo der Film sein eigentliches Gebiet betritt, wo er an die Schaffung imaginärer Welten geht, versagt man ihm die Gefolgschaft. Der Geschmack von heute will die photographische Treue dessen, was er für Natur hält, verlangt die Übertragung des durchschnittlichsten Romankitsches aus der Ärmlichkeit eines auf Holzpapier gedruckten Buches in einen unerhört kostbaren Rahmen mit echten Palästen, Hochgebirgen und Ozeanen als Hintergrund. Die faul gewordene Phantasie wünscht Entlastung. Der Mensch will auch nicht mehr ergründen, was gut und böse ist, aber er will mit seinen Augen sehen, wie gut und böse aussieht, gläubig dem verbindenden Text vertrauend. Der Stoffhunger triumphiert; Blut muß fließen knüppeldick, wie einst auf der vielbespöttelten amerikanischen Schaubühne. Der letzte Kuß ... 300 Meter; die Schändung der Vestalin ... 500 Meter; Goliath Armstrong von einem Haifisch am Bein gepackt ... 1000 Meter. Und dabei wird bei dieser passionierten Gafferei der Sinn für das Bildhafte an sich immer geringer, die Handlung ist alles. Und gerade hierin liegt die falsche Rechnung. Denn rein stofflich gibt der Film nichts als ein Massenaufgebot zusammenhangloser vorüberzappelnder Schemen. Das Gefühl bleibt unbeteiligt. Eher könnte man mit Scheerbartschen Marsbewohnern fühlen als mit diesen zuweilen menschenähnlichen, aber immer blutlosen Wesen, die eine Ausdehnung vortäuschen, die keine ist. Die aufgefangene Natur spottet der Bindung, und aus dem Spiegel blickt uns ein verändertes Antlitz an. Wenn der Schritt von der objektiven Photographie zur ersonnenen Handlung, also von der dürren Tatsache zum ersonnenen Spiel, gemacht werden soll, muß da angefangen werden, wo des Künstlers Einbildungskraft beginnt und wo die »Naturtreue« aufhört. Die unauffällige Tücke des Films, seine diskrete karikaturistische Laune, kurz, die kleine, aber wichtige Differenz, die ihn eben von der Natur unterscheidet, muß in den Dienst gezwungen werden, wenn man von einer Filmkunst sprechen will. Schatten wollen Schatten bleiben, aber nicht als Tiroler kostümiert sich schmalzige Blicke zuwerfen.

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Und ich frage mich oft, wie es in den Köpfen der Menschen aussehen mag, denen der Roman, nur noch als eine Folge von Bildern serviert, mundet. Sie suchen die »Naturtreue«, die Sensation der Wirklichkeit und galoppieren doch hinter einem Phantom her. Wie unstet und gehetzt müssen diese Menschen sich fühlen. Sie bewundern und verschlingen mit den Augen und sind doch niemals ganz befriedigt, immer ein wenig geäfft. Der krankhaft gereizte Appetit verlangt ständig nach neuen Speisen. Und hier beginnt die Funktion der Filmindustrie, die oft von guten Moralisten Verführerin gescholten wird und doch nur die Sklavin eines seelischen Magenübels ist.

Von Homer bis Gerhart Hauptmann ist alles verfilmt. Die Karamassoffs ebensogut wie der letzte Schmöker mit knalligem Umschlag. Die Menschheitsgeschichte mit den spärlichen Glanzzeiten und den zahlreichen Unglücksfällen ist zum Objekt für den ewig suchenden Regisseur geworden. Und hat irgendwo ein Buch noch still versonnen in der Bibliothek geträumt, es wird in Handlung umgesetzt und durch sieben Akte gepeitscht. Und wenn die okkulten Wissenschaften sich in dem gleichen rapiden Tempo wie in den letzten Jahren weiter entwickeln, dann, Weiße Frau, wird der Operateur in der Geisterstunde dich mit dem Stativ in der Faust durch die weiten, öden Gänge des Schlosses jagen. Denn das Publikum will Futter haben.

Monistische Monatshefte. 1. Dezember 1921


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