Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

204

Die drei Franzosen

In dem Frankreich des Krieges, in dem Frankreich des Hasses arbeitete ein einzelner Mann mutig den wüsten Leidenschaften der »großen Zeit« entgegen. Mit keiner anderen Waffe als einem ruhigen Gewissen, einem unbeirrbaren Rechtsgefühl und dem Glauben. daß an menschlicher Güte schließlich doch der Ansturm der Furien zuschanden werden muß.

Ich weiß nicht, ob man Romain Rolland einmal zu den Großen des französischen Schrifttums zählen wird. Aber nicht darauf kommt es an. Ausschlaggebend ist hier nur, daß ein Mann des Geistes diesen Geist nicht zum Werke der Vernichtung und Menschentötung mißbrauchte. Daß der Geist dem Leben dient –, das ausgesprochen und durch die Tat besiegelt zu haben, bleibt Rollands ewiges Verdienst und macht, daß dieses ruhige, sanfte Licht über dem Wirrwarr hell erstrahlt.

Auch Herr Poincaré ist Franzose, und er hat das Frankreich der vielen hinter sich. Der geschulte Rhetor, der Meister advokatorischer Ranküne auch in der Politik. Der Mann, der unbedenklich Formeln aus dem Ärmel schüttelt, die sich schnell einprägen, die der nationalen Überhebung schmeicheln, die alle jene kleinlichen Gefühle herauskitzeln, die bei Tageslicht so peinlich aussehen und doch in der falschen bengalischen Beleuchtung des Patriotismus sich so blendend und so heroisch ausnehmen.

Und wenn hierzulande von Frankreich gesprochen wird, dann vergißt man regelmäßig den Franzosen Rolland und sieht in dem Franzosen Poincaré den Wortführer der Nation.

Und dann gibt es noch einen dritten Franzosen, der von Rolland nichts weiß, aber auch sehr wenig von Poincaré. Das ist der kleine Mann, der Bauer und Arbeiter, der treu sein Land bestellt oder seine Tage in der Werkstatt verbringt, der heiter-harmlos sein Vaterland liebt und den Soldatenrock anzieht, ohne viel zu fragen, wenn die Proklamation des Herrn Poincaré an der Mauer verkündet, daß das seine Pflicht, überhaupt das Vaterland in Gefahr sei. Und diese Pflicht führt ihn in den Schützengraben, und er fragt auch weiter nicht viel, denn sein Vertrauen ist stärker als sein Wissen. Aber er versteht nicht die wilden Phrasen, die seinen Mut anfeuern sollen. Denn der nationale Haß ist das Vorrecht des gutgekleideten Großstadtpöbels, der sich, wenn's drauf ankommt, immer drückt.

Auch diesen Franzosen kennt das Deutschland Ludendorffs nicht und will ihn nicht kennen. Es sieht nur die verzerrte Maske Poincaré und sieht hinein wie in einen Spiegel.

Wenn aber das Frankreich der Bauern und Arbeiter sich mit dem Rollands kreuzt, dann ist die Zeit Poincarés abgelaufen. Wenn sich der Mann aus der Welt der Bücher endlich zu dem Mann vom Spaten gefunden hat, zu der großen namenlosen Masse, die so unbändig ist in ihrer Freude und so geduldig im Leiden ... wenn es zu dieser fruchtbaren Konstellation kommt, dann ist der rote Traum vom Krieg zu Ende und das verwunschene Europa endlich erlöst.

Berliner Volks-Zeitung. 28. Mai 1921


 << zurück weiter >>