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Preußenwahlen und »nationaler Gedanke« Zum Plakatfeldzug der Reaktion

In früheren Jahren waren die Preußenwahlen etwas, was die Öffentlichkeit nicht übermäßig interessierte. Dreiklassensystem und öffentliche Wahl waren nicht gerade dazu angetan, die Wähler in Massen an die Urne zu locken, und der Wahlkampf war gewöhnlich ziemlich zahm und entbehrte großer Gesichtspunkte. Was war schließlich der Landtag? Der wichtigste Faktor war das Herrenhaus, der Anti-Reichstag, die Engelsburg der Reaktion. Auch diesmal entbehrt der Wahlkampf der großen Gesichtspunkte, aber zahm ist er wirklich nicht. Nein, die Dreckschleuder funktioniert besser als jemals. Die Parteien der Rechten wissen, worum es geht. Sie beherrschen den zweitgrößten Bundesstaat ... Bayern; Preußen wird noch von der alten Koalition gehalten, und Preußen wird – das muß ausgesprochen werden – von dieser Koalition besser gehalten als es das Reich wurde. Deshalb die Wut gegen die einst verhätschelte Vormacht in Deutschland, deshalb die Sympathie für den bayerischen Partikularismus, den vor wenigen Jahren die gesamte Rechtspresse noch verbrecherisch und reichsfeindlich genannt hätte. Bringen die Wahlen einen Sieg oder auch nur ausschlaggebenden Einfluß der Rechten, dann ist das Münchener Budapest kein Fremdkörper mehr, dann finden sich reaktionärer Norden und reaktionärer Süden; an die Stelle der fortgewischten Mainlinie wird als Bundeszeichen ein Hakenkreuz gepflanzt und im Schatten dieses freundlichen Symbols werden sich Hergt und Heim die Hände reichen. Das ist das edle Ziel. Deshalb werden durch das Medium der Deutschen Volkspartei die erleuchtetsten Geister aus dem Elysium bemüht und bevölkern Herrn Wulles kampfgeübte Guerilleros Abend für Abend die Versammlungen der demokratischen Parteien. Was aber ist das Hauptargument gegen die Linksparteien, falls es zu Diskussionen kommt – im allgemeinen pflegen die Herrschaften einer Aussprache aus dem Wege zu gehen und betätigen sich lieber in einer Weise, die den eigenen geringen Vorrat an Gehirnschmalz schont – welches also ist das Argument, das den Demokraten und Sozialdemokraten die Wähler abspenstig machen soll? Diese Parteien sollen in »nationalen Angelegenheiten« nicht zuverlässig sein.

Es ist ziemlich traurig, sich heute noch wegen solchen Gespenstern aus der traurigen Zeit des Kulturkampfes und des Ausnahmegesetzes herumschlagen zu müssen. In den Tagen, als es auch dem Blödesten klar wurde, daß der Krieg verspielt war, ging so etwas wie eine Ahnung durch das Land, daß nationale Phrase und nationales Gefühl nicht identisch seien, daß man als Opponent gegen eine weit verbreitete Ideologie gleichwohl ein sehr guter Deutscher sein könne. Dann kamen die Wahlen zur Nationalversammlung. Die Führer der Rechtsparteien verließen die Kellerhöhlen, die sie am 9. November gastlich aufgenommen hatten, fühlten sich noch am Leben und schnappten Luft. Zunächst traten sie noch sehr vorsichtig auf, behaupteten sehr bescheiden, keinen besondern Parteistandpunkt zu verfechten, sondern nur ganz allgemein »deutsch« zu sein. Diese Bescheidenheit trug ihnen die Sympathie schnell vergessender Leute ein (diese Spezies ist in Deutschland reichlich vertreten), und die andern hatten damals mit Rätekongressen und ähnlichen nützlichen Veranstaltungen so viel zu tun, daß es niemanden gab, der diese »Bescheidenheit« als maßlose Heuchelei entlarvt hätte. So sehr damals die Rechtsparteien durch die Ereignisse überrannt waren, so wenig hatten sie doch die alte Herrschsucht von sich getan, so sehr fühlten sie sich noch immer als die eigentlichen Erbpächter nationaler Gedanken. Es ist ein wesentlicher Teil des tragischen Mißgeschicks der Deutschen Republik, daß ihr erstes Jahr ausschließlich okkupiert war von den wüsten Kämpfen der Linksparteien untereinander und darüber die Schakale der Reaktion vergessen wurden, die am Rande des Schlachtfeldes auf die Ermattung der Kämpfenden harrten. Was damals an Aufklärungsarbeit versäumt wurde, läßt sich nicht wieder gutmachen, uns wäre der Kapp-Putsch, wäre die große und kleine Obstruktion der letzten anderthalb Jahre erspart geblieben, hätte man in hinreichender Weise gesorgt für die Zerstörung jener Guano-Inseln von patriotischen Phrasen, die sich vor dem Kriege und im Kriege gebildet haben. Heute ist unsere Atmosphäre verpestet: ärger als im Frankreich des Dreyfus-Prozesses lärmt das nationale Tuthorn auf den Gassen und Männer, die sich mit Leib und Leben der Aufgabe gewidmet haben, an der Überwindung der namenlosen Gefahren mitzuarbeiten, die Deutschland heute bedrohen und seine Existenz in Frage stellen, werden Verräter genannt, vaterlandslose Gesellen usw., ganz wie in Wilhelms Tagen.

Es ist sehr schwer, dagegen anzukämpfen. Waffen der Logik verfangen nicht gegenüber wirren Ergüssen aus der Gefühlssphäre und erst recht nicht gegen Elemente, die sich von Gott zur Herrschaft berufen fühlen und auf so hohem Piedestal natürlich nur Spott übrig haben für eine geringe menschliche Vernunft, die ihre erhabene Sendung zu bezweifeln wagt. Aber daneben gibt es noch unendlich viel Menschen, die nicht so hohe Ansprüche erheben, die aber gelitten haben unter der Zeit und leicht eingefangen werden von einer Agitation, die sich mit Kleinigkeiten nicht abgibt, sondern in Bausch und Bogen kritisiert und alles, was ihr nicht paßt, in Grund und Boden hinein kritisiert. Wer hat nicht gelitten und nicht verloren in solchen Zeiten? Es ist eine unendliche Armee vorhanden an Verstimmten und Verärgerten. Die wird den Ausschlag geben.

Es ist eine schlimme Tradition, daß überall dem Begriff »national« etwas Schimmerndes und Gleißendes anhaftet. Vaterland, das ist nichts Treuliches, das an die Heimat der Jugend erinnert, sondern etwas Drohendes, das sich dokumentiert in Bajonetten und Kanonenläufen. Vaterland, das ist nicht ein Gefühlswert, sondern etwas fürs Auge, eine Parade. Und wenn nun das Vaterland nach manchen Schicksalsschlägen zu arm geworden ist, um dem Auge etwas zu bieten, dann wird nicht nach den Ursachen geforscht, es klopft auch niemand fragend an die eigene Brust, nein, Verwünschungen werden ausgestoßen gegen diejenigen, die sich Mühe geben zu retten, was noch zu retten ist. Es fällt niemandem ein, zu fragen, ob nicht die vielgerühmte Ära des »Aufschwunges« vor dem Kriege schließlich nur Fassade war, nein, man bespeit diejenigen, die, von Haß umloht, ihr Leben der Aufgabe geweiht haben, ein neues und festeres Gebäude aufzuführen. Der alte Lichtenberg schrieb einmal: »Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eines Monarchen Staaten nicht untergeht, wie sich ehedem Spanien rühmte, sondern was sie während ihres Laufes in den Staaten zu sehen bekommt.« Unsere Nationalisten aber können sich den Staat nur denken von Ruhm und Glanz umflossen. Unsere Nationalisten sind große Kinder; sie freuen sich der Sonne und tun wahrhaftig so, als ob sie allein sie bewegten; ist sie aber doch untergegangen, dann schlagen sie mit Gummiknüppeln auf diejenigen los, die inzwischen für künstliche Beleuchtung sorgen. Leider ist unsere Situation so, daß wir uns noch recht lange an Stelle der lieben Sonne werden mit Laternen behelfen müssen, und es scheint deshalb weder »deutsch« noch »patriotisch«, unsere schlichten Beleuchtungskörper zu Zielpunkten der Dreckschleuder zu nehmen. Es ist sehr leicht, sich mit großem Mundwerk zu einem geachteten und blühenden Vaterland zu bekennen, aber es erfordert einige Charakterstärke, für ein Vaterland zu arbeiten, das keines von beiden ist. Was unsere demokratischen Parteien geleistet haben, war gewiß oft unzulänglich, aber daß sie überhaupt gearbeitet haben, rettete uns wenigstens die Ansätze zu einer Konsolidierung; hätten die Rechtsparteien ein einziges Mal das Ruder in der Hand gehabt, die große Welle hätte uns längst fortgeschwemmt.

Ein Volk ist eine Schicksalsgemeinschaft; man kann sie nicht verneinen, soll sie aber auch nicht verhimmeln. Es gibt nur einen Patriotismus: tätig zu sein für diese Gemeinschaft, der man angehört und deren Glieder voneinander abhängig sind. Was die Rechtsparteien für das deutsche Volk seit der Revolution Gutes getan haben, steht auf einem weißen Blatte. Wie sie sich an dem Volk versündigt haben, das kann kein Plakatfeldzug zudecken. Nicht besser als die sich ihnen immer mehr nähernden Kommunisten haben sie alles, was zur Festigung des neuen Systems hindrängte, mit Gehässigkeit und Zähigkeit bekämpft. Sie haben sich isoliert und bezeichnen sich selbst als die echten Vertreter der vaterländischen Ideen. Das Vaterland aber ist nicht dort, wo die Einpeitscher des Bürgerkrieges und des Revanchekrieges sitzen, sondern dort, wo man sich bemüht, die Wunden des kranken Volkskörpers zu heilen. Das fühlt die Demokratie als ihre Aufgabe und wird dafür arbeiten, einerlei, ob sie den Sieg erringen wird gegen eine unbedenkliche Wahlpropaganda oder ob sie für dieses Mal noch zurückgedrängt wird.

Berliner Volks-Zeitung, 19. Februar 1921


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