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»Der große Habicht«

Das ist nicht ein Berufsgenosse des wackeren Kaschemmen-Ede, sondern ein Landsmann Lederstrumpfs und Häuptling der Seneka-Indianer, der, Zeitungsnachrichten zufolge, nach Frankreich berufen wurde, um die praktische Ausbildung der jugendlichen Pfadfinder zu leiten, mit denen er zurzeit im Walde von Compiègne Übungen veranstaltet.

Zu meinem Bedauern muß ich eingestehen, daß ich bisher weder von den Seneka-Indianern etwas wußte, noch von ihrem scharfsinnigen Häuptling. Doch habe ich immerhin genügend von den Epigonen der Helden Coopers gehört, um mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der große Habicht, der jetzt mit vollem Inventar: Lasso, Federschmuck, Tomahawk und Bowiemesser, über den Boulevard Montmartre streicht und den gepuderten, kurzröckigen Squaws im Vorübergehen waidkundige Blicke zuwirft, in seiner Heimat Sakkoanzug und Borsalino trägt und sich dreimal in der Woche der Behandlung im Manikuresalon unterwirft.

Seltsame Umdrehung alten Geschehens! Einst zogen fromme Missionare, mit Bibeln und Flanell-Leibbinden ausgerüstet, in die neue Welt, um den beklagenswerten Rothäuten die seelischen und leiblichen Vorzüge europäischer Zivilisation zu demonstrieren. Und da hinter ihnen zur Bekräftigung der dialektischen Mittel Männer mit langen Feuerrohren kamen und noch andere mit großen, verlockend duftenden Fässern, so ist ihnen das so gründlich gelungen, daß von einer Rasse, die einst einen ganzen Erdteil bewohnte, heute nur noch eine schwache Diaspora zurückgeblieben ist, deren Glieder sich in den Provinzstädten der Union mit Vorliebe als Advokaten oder Filmoperateure betätigen. Nur mit Sport haben sie nicht gern was zu tun; das ist ihnen zu roh.

Und abermals pocht das kultivierte Europa an die Tore Amerikas. Aber diesmal nicht, um den kupferfarbenen Leuten den Rest der wilden Instinkte auszutreiben, sondern um davon zu profitieren und in die höheren Grade indianischer Kriegskunst eingeführt zu werden. Das ist des großen Habichts Mission, der heute mit der Pariser Jugend im Walde von Compiègne die Stelle zu erspähen sucht, wo einst Herr Erzberger vor seiner denkwürdigen Zusammenkunft mit Herrn Foch den letzten suchenden Blick in den Langenscheidt tat.

Und oben in den ewigen Jagdgründen, Manitu, der große Geist, der an den Spätlingen seines Volkes längst keine Freude mehr hatte, fletscht die gelben Stoßzähne, und in seinen trübgewordenen Augen glimmt die Erinnerung an Skalpierung und Marterpfähle. Und während seine knochigen Finger liebkosend die alte Streitaxt betasten, knurrt er in bösem Triumph: »Galiläer, du bist besiegt ...!«

Berliner Volks-Zeitung. 9. August 1921


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