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Volk und Menschheit

Die kleine Schrift des Leipziger Historikers Walter Goetz »Nation und Menschheit«, als zehnte Flugschrift der Deutschen Liga für Völkerbund im Verlag Hans Robert Engelmann in Berlin erschienen, ist für den Pazifisten etwas durchaus unerfreuliches. Der Verfasser untersucht krittelnd den Begriff Menschheit und findet, daß es eigentlich gar keine Menschheit gebe, sondern nur eine Addition von Staaten, ein Nebeneinander und Nacheinander von Völkern und Kulturen. Niemals wird es dieser frostigen Scheinlogik aufgehen, daß Menschheit nicht nur eine abstrakte Idee bedeutet, sondern einen positiven Gefühlswert. Die Menschheit leugnen, heißt heute Krieg führen wider die ethische Erneuerung der Völker. Wenn Goetz schließlich aus Nützlichkeitsgründen den Völkerbund fordert und Deutschland die sittliche Pflicht auferlegt, für den »wahren Völkerbund« zu kämpfen, fragt man nach dem Voraufgegangenen ziemlich erstaunt: Warum? – Haften bleibt nur der fatale Satz: »Die volle Beseitigung des Krieges erscheint als ausgeschlossen.« – Wer Erquickung wünscht nach diesem mit Völkerbundphrasen garnierten Antipazifismus, der greife zu einer Arbeit von Dr. Magnus Hirschfeld. Sie heißt »Was eint und trennt das Menschengeschlecht?«, ist verlegt von der Arbeitsgemeinschaft für staatsbürgerliche und wirtschaftliche Bildung, Berlin W. 35 und kostet Mk. 0,50. Der Verfasser ist mehr als ein Fachwissenschaftler, ein echter Menschenfreund. Mit herzlicher Wärme tritt er ein für die Idee des Menschheitstaates. Für ihn ist die Menschheit ein einheitlicher Organismus. Goetz läßt die Menschheit naturwissenschaftlich als Einheit gelten und übersieht nur, daß sich daraus gewisse Konsequenzen ergeben. Hirschfeld zieht diese Konsequenzen. Freudig nimmt er den Satz von Henri Barbusse auf: »Die Erde trägt nur eine Art von Menschen.«

Mitteilungen der Deutschen Friedensgesellschaft, Juni/Juli 1920


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