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Kammerspiele Stramm: »Kräfte«

Es ist sicher eine Ehrenpflicht unserer Bühnen, Werke verstorbener Dichter aufzuführen, die zu ihren Lebzeiten entweder verkannt oder unbeachtet blieben. Es gibt aber auch einen beherzigenswerten Spruch, welcher lautet: Laßt die Toten ruhen!

August Stramm, der 1915 in Rußland gefallen ist, war gewiß ein echter Dichter. Aber ebenso stark war in ihm der Experimentator, der einen neuen, unerhörten Ausdruck schaffen wollte durch letzte Beschränkung des Wortes. Nicht mehr runde Sätze, auch nicht mehr abgerissene, zerfaserte Sätze – nein, Wortbrocken, Wortklumpen aneinandergereiht. Es ist nicht zu leugnen, daß ihm in seiner Lyrik das zuweilen gelungen ist. In der Dramatik mußte das einen Zwitter von Sprechdrama und Pantomime geben. Zumal das vorliegende Stück, das zudem eine auffallend kitschige Fabel aufweist, ist mehr als unmöglich. Menschen, deren seelische Beziehungen nicht einmal angedeutet werden, lispeln, schreien unverständlich; schweigen einander minutenlang ins Gesicht hinein, schleudern einander Gedankenstriche vor die Füße ... mimen Fragezeichen. Und wenn man diese ganze Symbolisiererei auf den Generalnenner zu bringen versucht, so bleibt nichts als der von Dumas fils bis Sudermann feststehende Normalverlauf einer viereckigen Affäre mit einem angepappten Schluß aus der Region der Schaudertragödie.

Das einzig Wunderbare an diesem metaphysischen Theaterabend war, wie Max Reinhardt diese Geschichte auffaßte. Er nahm das alles durchaus naturalistisch. Ließ sich von Franz Dworski eine Szene entwerfen, die ausgezeichnet für Schnitzlers »Liebelei« gepaßt hätte. Gab dem Modekünstler Otto Haas-Heye den Auftrag, die Damen Thimig und Straub einzukleiden. Klöpfer und Hermann Thimig dagegen ließ er frei herumlaufen; was übrigens beiden herzlich wenig Spaß zu machen schien. Helene Thimig (lichtes Gemüt) erhielt durch hellen Chiffon die Charakterisierung, die der Dichter versäumt hatte. Agnes Straub, grün (schwarz gebatikt), sprach und schwieg durcheinander eine Mischung von Herodias und moderner Salonschlange und wuchs auf Schluß zu einer Dämonie empor, die einen Triumph ihrer eigenen tragischen Kraft bedeutete und mit dem unseligen Stück nicht das leiseste zu tun hatte.

Das Haus ehrte die Künstler durch Schweigen. Nochmals: laßt die Toten ruhen!

Berliner Volks-Zeitung, 13. April 1921


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