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Reale Reparationspolitik

Graf Harry Keßler, der nun seit länger als einem Jahre eine lebhafte Propaganda entfaltet für ein Völkerbundsprojekt, das, im Gegensatz zu jener angeblich heute noch bestehenden Institution, sich auf die Tatsachen der Weltwirtschaft stützt, hat jüngst in einer großen Kölner Versammlung, die einberufen war von pazifistischen Organisationen in Gemeinschaft mit den lokalen Kartellen des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes und der Afa, wohl als erster deutscher Politiker den Gedanken eines internationalen Reparationsinstitutes zur Debatte gestellt. Dieser Vorschlag geht zurück auf eine Resolution, die vom Bureau des Internationalen Gewerkschaftsbundes am 14. März d. J. angenommen wurde und von der Amsterdamer Delegiertenkonferenz am 31. März ausdrücklich bestätigt worden ist. Wie erinnerlich, war diese Konferenz einberufen worden zum Zwecke der Klärung der durch das Scheitern der Londoner Verhandlungen entstandenen internationalen Situation.

Diese Beschlußfassung hat ihre eigene Bedeutung. Zum ersten Male wird das Reparationsproblem von einer machtvollen internationalen Organisation nicht nur aufgenommen, sondern es wird auch ein Weg der Lösung bezeichnet. Die Opposition gegen den Versailler Frieden ist aus ihrem ersten Stadium, dem des Protestes aus Gerechtigkeitsgefühl, hinaus. Zu den Vernunftgründen der Kritik gesellt sich das Erkennen, wie es anders gemacht, wie es besser gemacht werden kann. Wie Graf Keßler selbst für einen Völkerbund mit solider ökonomischer Untermauerung sich einsetzt, für einen Völkerbund, der nicht nur ein Honoratiorenkränzchen bedeutet, sondern alle wirtschaftlichen und geistigen Faktoren mit einschließt, so haben auch die Gewerkschaftler zunächst nur das eine Ziel, die Reparationsfrage den unglücklichen Händen der Berufspolitiker zu entwinden und den wirklich weltwirtschaftlich Orientierten ein Mitbestimmungsrecht zu sichern. Wenn uns in vergangenen Kriegstagen ein Gedanke absurd erschien, so war es der, es könnten die Friedensverhandlungen, überhaupt der ganze Übergang in die Friedenswirtschaft, geleitet werden von Persönlichkeiten, die an der Eröffnung und Führung des Krieges hervorragend beteiligt waren, denn alle diese, mochten sie noch so begabt sein, schienen uns in ihrem Wesen vergiftet zu sein. Wir haben recht behalten: man riecht es diesem Frieden an, daß seine Satzungen von früheren Munitionsministern diktiert sind. Wie die Staatsmänner der alliierten und assoziierten Mächte in dem Versailler Vertrag der Kriegspsychose einen letzten grandiosen Triumph verschafft haben, so wird in gleichem Geiste die Reparationsfrage für sie zur bloßen Machtfrage. Die Überlegung wird getrübt durch Vergeltungsgefühle; die Forderungen passen sich dem Maße der Bitterkeit an. Der Haß läßt die Addiermaschine rasen, und die Zahlen umrauschen unsere Häupter wie eine Schar böser schwarzer Vögel. Es scheint also durchaus angebracht zu sein, den Wirkungskreis der Nichts-als-Politiker ein wenig einzuengen und Personen heranzuziehen, die in höherem Maße als Vertreter ihrer Völker gelten dürfen. Wenn den Werktätigen, den Arbeitern wie den Unternehmern, den Leuten der Praxis, der gebührende Einfluß eingeräumt ist, kann die Gerichtsvollzieherimagination der Poincaré und Loucheur endlich überwunden werden.

Der Internationale Gewerkschaftsbund wendet sich gegen den Versuch, das Reparationsproblem ausschließlich finanziell lösen zu wollen, da die gegenwärtige Situation der Weltwirtschaft zu keinem Resultat führen könne. Viel wesentlicher als das Jonglieren mit sagenhaften Ziffern erscheint auch uns eine gewisse internationale Produktionsregelung. Heute leiden die einen an der Niederlage und die andern am Sieg, aber die sozialen Krankheitsbilder sind so ziemlich die gleichen. Die Politiker setzen Entschädigungssummen fest, ohne in gehöriger Weise zu prüfen, ob diese nicht von ganz bestimmten Voraussetzungen abhängig sind und wie die Ausstrahlung auf die Weltwirtschaft sein wird. Um zur Sachlichkeit zurückzuleiten, nimmt Keßler den Amsterdamer Vorschlag auf, ein internationales Reparationsinstitut zu errichten, dem das Studium und die technische Durchführung des Wiederaufbaues der zerstörten Gebiete obliegen soll. In diesem Institut sollen offizielle Vertreter der beteiligten Nationen, Delegierte der Arbeiterorganisationen, des Internationalen Gewerkschaftsbundes, sowie der Industrie und Technik zu gemeinsamer Tätigkeit Sitz und Stimme haben. Um die Wiederaufbauarbeiten einzuleiten und weiterzuführen, soll das Institut unter Garantie des Völkerbundes internationale Anleihen ausgeben. Zunächst fordert Keßler eine erneute Konferenz von wirtschaftlichen Sachverständigen nach Art der Brüsseler Finanzkonferenz, aber diesmal unter Hinzuziehung von bevollmächtigten Vertretern der organisierten Arbeiterschaft.

Die Brüsseler Konferenz hatte seinerzeit recht annehmbare Ergebnisse, wie überhaupt fast alle Verhandlungen zwischen Deutschen und Alliierten, wenn der militaristische Einschlag fehlte. Nach den Brüsseler Erfahrungen erscheint eine Wiederaufnahme dieses ersten Versuches äußerst befürwortenswert. Namentlich, wenn durch Vertrauensmänner der Arbeiterschaft ein Element hineingetragen wird, das solchen Auseinandersetzungen bisher, sehr zum Schaden der Völker, abging. Wie erfrischend wirkte nicht in Spaa jenes Wort Hues, daß man über die Geschicke von Millionen nicht einfach am grünen Tisch entscheiden könne. Denn der Wiederaufbau ist nicht allein eine Angelegenheit der Politiker und Finanziers, überhaupt nicht etwas, was von oben angeordnet und geleitet wird, sondern nicht zum wenigsten die Angelegenheit derjenigen, die alle Pläne mit ihrer Hände Arbeit verwirklichen werden. Daß der Wiederaufbau seinen Diktatcharakter verliert, daß ihm eine weltbürgerliche, eine menschheitliche Idee innewohnt, das verbürgt am besten die Beteiligung der Arbeiterinternationale. Ein Symbol der Freiheit soll das Neuerstarkende werden, das Werk von Menschen, die in reiner Luft atmen.

Wir stehen vor entscheidungsvollen Wochen. Wir wissen noch nicht, ob endlich Entspannung eintreten wird, oder ob eine neue und schlimmere Ära der Katastrophenpolitik, bereits auf dem Papier ausgearbeitet, im Schreibtische des Herrn Barthou ruht. Mögen verbohrte Berufspolitiker den Wahnsinn weitertreiben; in den Köpfen der Menschen, die den Zusammenhang mit den Realitäten dieser Welt nicht verloren haben, wird die Erkenntnis wachsen, daß der Krieg nicht nur ein paar Provinzen demoliert hat, sondern in gleichem Maße alle Regionen europäischer Gesittung und gemeinsamen Kulturbesitzes, und daß nur gemeinsame europäische Arbeit dem Krieg nach dem Kriege ein Ende bereiten kann. Nicht auf ein Allheilmittel kommt es an, sondern darauf, die Erwachenden zu sammeln, die Menschen aus dem Phrasennebel zu führen ... in die Wirklichkeit zurück. Denn eher wird nicht die Formel gefunden werden, die endgültig die Dämonen des Hasses in den Abgrund zurückscheucht.

Berliner Volks-Zeitung. 16. April 1921


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