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Der Völkerbundgedanke in Deutschland

Vielleicht wird, trotz alledem, in absehbarer Zeit bereits an Deutschland die Forderung gestellt werden, in den Völkerbund einzutreten. Damit wird plötzlich eine Frage aktuell werden, die in den Wirren und Nöten des letzten Zeitabschnittes nicht allzu sehr beachtet wurde. Und doch ist es notwendig, schon jetzt zu grundsätzlichen Feststellungen über das Wesen des Völkerbundes zu kommen. Es müssen notgedrungen Unterscheidungen gemacht werden zwischen dem Völkerbundgedanken an sich und seiner recht eigenartigen Kristallisation im Versailler Werk. Schon jetzt fehlt es nicht an grundsätzlicher Gegnerschaft, die nicht nur den Völkerbund des Pariser Vertrages ablehnt, sondern darüber hinaus die Idee einer Liga der Nationen als »undeutsch« verwirft oder dahinter eine englisch-amerikanische Intrige wittert, um die Welt unter die Zwingherrschaft der beiden großen angelsächsischen Länder zu bringen. Die Einsichtigen aber fordern im Gegensatz zu solcher alldeutschen Kraftmeierei zum Beitritt auf, fühlen sich aber verpflichtet, auf die Unvollkommenheit der jetzigen Form hinzuweisen und wünschen die Umgestaltung in dem Sinne, daß der Völkerbund wirklich eine Gemeinschaft aller Nationen wird, die frei und friedlich leben und schaffen wollen.

Der Völkerbundgedanke aber ist weder deutsch, noch englisch, noch französisch. Er ist Gemeingut aller Kulturnationen. Er hat überall seine hervorragenden Vertreter gehabt, da er rein menschlich ist und einem durchaus übernationalen Verlangen entspringt. Zu verschiedenen Zeiten, aber besonders nach großen Kriegen, sind solche Gedanken lebendig gewesen und haben sich zu Theorien verdichtet, die in ihren Mitteln und Wegen stark voneinander abweichen, aber in der Zielsetzung übereinstimmen.

Auf Veranlassung der Deutschen Liga für Völkerbund hat der Historiker Veit Valentin eine »Geschichte des Völkerbundgedankens in Deutschland« geschrieben. (Erschienen im Verlag Hans Robert Engelmann, Berlin.) Ein Werk, das der deutschen Wissenschaft mehr Ehre macht als konfuse Philosopheme über den »Untergang des Abendlandes«. Vorzüglich geeignet zur Orientierung über Alter und Entwickelung pazifistischer Ideen in Deutschland. Eine sehr nützliche Arbeit auch einem Auslande gegenüber, das allzu leicht dazu neigt, die Deutschen als die Militaristen von Geblüt anzusehen. Allerdings gibt auch Valentin zu, daß Völkerbundgedanken nirgends so wenig die praktische Politik beeinflußt haben wie gerade in Deutschland. Dennoch haben deutsche Denker sehr gründlich über diese Probleme nachgedacht. Haben den Krieg als »Generalsturm wider die Moral« erkannt, die Versuche, ihn zu »humanisieren«, mit Hohn überhäuft, mit Leidenschaft den Satz verfochten, daß »der Krieg mehr böse Leute mache, als er deren wegnehme«. Es sind Franzosen und Engländer nüchterner, realpolitischer vorgegangen; der deutsche Geist holte seine besten Waffen aus der Rüstkammer der Philosophie.

Eine seltsame Folge von Bildern ist es, die der Verfasser vorüberziehen läßt, von Leibniz, der mitten im Zeitalter der imperialistischen Politik Ludwigs XIV. seine Pläne eines Weltreiches mit alles umfassender Schiedsgerichtsbarkeit entwickelt, bis zu Alfred H. Fried und Walter Schücking, die an der Schwelle des Weltkrieges noch ein letztes Mal zur Organisation der Welt aufrufen. Edle Menschenfreunde wechseln ab mit verschwärmten Köpfen und diesen wieder folgen ruhige, überlegene Dialektiker, die an die Vernunft appellieren und den Nachweis führen, ein wie schlechtes Geschäft im Grunde genommen so ein Krieg sei. Herder, Fichte und Jean Paul sprechen; Kants Büchlein vom ewigen Frieden erfährt eine eingehende Darstellung. Welch ein bunter Reigen von wuchtigen Streitschriften und verwickelten Systemen, gründlichen Theorien und üppigen Phantastereien! Und welch eine Fülle von Gegensätzen! Mitten in die Kirchhofsruhe des vormärzlichen Deutschland dröhnt das dreimalige Hoch auf das »konföderierte republikanische Europa«, ausgebracht von den Hambacher Burschenschaftlern, und die oft herabgesetzten Männer der Paulskirche verfechten den Völkerbund mit Gründen, die auch heute noch nicht veraltet sind.

Valentins Buch ist nicht nur ein wohlgelungenes Stück vorurteilsloser Geschichtsschreibung, sondern auch leichtflüssig und fesselnd geschrieben. Es gehört in die Büchereien der politischen Vereine. Wir sind dem Verfasser zu Dank verpflichtet, der uns etliche Kapitel deutschen Geisteslebens lebendig gemacht hat, über die eine einseitig kriegsverherrlichende Historik bisher naserümpfend hinweggeschritten ist. Die Muße dazu verdankt er allerdings dem Umstande, daß ihn während des Krieges eine vaterlandsparteiliche Hetzaktion seines Lehrstuhls an der Universität Freiburg beraubte. Bis jetzt hat man noch nichts davon gehört, daß ihm die Erlaubnis, zu lehren, wieder erteilt worden wäre, Wie an so manchem anderen hat auch an ihm die Republik noch nicht wieder gutgemacht, was das Kaiserreich verbrochen.

Berliner Volks-Zeitung, 13. Juli 1920


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