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Abschied

Dieses Heft des »Völkerfriedens« ist das letzte, das in die Welt hinausgeht. Es ist ihm nicht mehr vergönnt gewesen, seinen 20. Geburtstag zu feiern. Zu kluge Kinder werden selten alt, sagt der Dichter. Es ist der Geschäftsleitung nicht leicht gefallen, auf der Kasseler Generalversammlung mit der Mitteilung hervorzutreten, daß es nicht mehr an der Zeit sei, das Vereinsorgan in der seitherigen Gestalt aufrechtzuerhalten. Wir wissen alle, wieviel Freunde das Blatt sich im Laufe der Jahre erworben hat, wie es vielen Mitgliedern lieb geworden ist. Namentlich solchen, die fern von großen Städten jahraus und jahrein auf die ewig gleiche und ewig patriotisch-stumpfsinnige Provinzpresse angewiesen sind. Das ist alles wohl beachtet worden, und trotzdem kam der Entschluß.

Es waren nicht zuletzt finanzielle Gründe. Die ungeheure Steigerung der Material- und Herstellungskosten macht heute eine Zeitschrift zu einem fast hoffnungslosen Unternehmen. Zu zählen sind die Revuen, die heute ohne Manko wirtschaften können. Da stehen die Herausgeber immer wieder vor der Frage, ob das Unternehmen von einer so unbedingten Notwendigkeit ist, daß die maßlosen Unkosten sich rechtfertigen. Es mag für einen Augenblick seltsam klingen, daß die Geschäftsleitung diese Frage verneinte und die Generalversammlung ihr rückhaltlos zustimmte.

Zunächst ist festzustellen, daß ein Vereinsorgan beinahe niemals von einer tiefergreifenden agitatorischen Wirkung ist, sehr selten nur außerhalb der Bewegung stehende Kreise erfaßt. Ein ausgezeichnetes Bindemittel für die Mitglieder, ausgezeichnet zur Einführung in einen bestimmten Gedankenkreis für Neugewonnene. Aber selten von Wirkung auf Außenstehende. Vielleicht schreckt der »geschäftliche Teil« ab, obgleich er sehr häufig nur einen geringen Raum für sich beansprucht. Ebenso geht die Tagespresse durchweg achtlos an einem Blatt vorüber, das als »Vereinsblatt« abgestempelt ist. Das mag man bedauern. Aber es ist eine Tatsache, und jedem Erfahrenen ist das vertraut.

Was wir Pazifisten aber heute brauchen, ist Wirkung. Wir haben eine Riesenaufgabe zu erfüllen. Unsere Mittel sind dem gegenüber gering. Wir müssen mit äußerster Energieersparnis arbeiten. Vor jeder Aktion, vor jeder Publikation müssen wir uns fragen: erfüllt sie so unbedingt ihren Zweck, faßt sie so weit, um vor allem uns Fernstehende zu interessieren, gewinnen wir durch sie an Beachtung, an Einfluß?

Seit Jahren ist jedem Pazifisten die »Friedenswarte« vertraut. Sie ist, allen anderen pazifistischen Blättern zum Trotz, immer die »eigentliche« pazifistische Zeitschrift geblieben. Ihr Herausgeber, Dr. Alfr. H. Fried, hat sie zum Mittelpunkt des wissenschaftlichen Pazifismus gemacht. Durch die Kriegszensur verdrängt, ist sie in der Schweiz weitererschienen. Für viele von uns ist sie in jener Zeit, die man so töricht die »große« nennt und die besser die dunkle heißen sollte, der einzige Trost gewesen und die einzige Zeugin eines europäischen Gewissens. Nun hat Herr Dr. Alfr. H. Fried angekündigt, die »Friedenswarte« ab Januar 1920 wieder in Deutschland herauskommen zu lassen. Die Friedensgesellschaft empfiehlt deshalb ihren Mitgliedern, die »Friedenswarte« nicht nur zu abonnieren, sondern tatkräftig für sie zu wirken, ihr Leser und Freunde zu gewinnen, um sie stark und einflußreich zu machen. Wir brauchen heute mehr denn je Sammlung; das Wort »getrennt marschieren – vereint schlagen« hat für uns seine Gültigkeit verloren. Es ist das Unglück der modernen kulturellen Bestrebungen, daß die eine immer irgendwie zur Konkurrentin der anderen wird. Was uns not tut, ist energische Zusammenballung aller Kräfte – der Mittelpunkt. Das soll uns die Schöpfung Alfred Frieds werden – die ideale Tribüne der deutschen Pazifisten. Deshalb verzichten wir auf die jetzige Form des Vereinsorgans. Anstelle des »Völkerfriedens« wird vom Januar an einmal monatlich ein Mitteilungsblatt erscheinen, das über die Bewegung im In- und Auslande unterrichtet und die notwendigen geschäftlichen Fragen behandelt. Durch diese Lösung allein ist es möglich geworden, die Mitgliedsbeiträge so niedrig zu bemessen, wie es in Kassel geschehen ist. Besonders von den Ortsgruppen, die schwer finanziell zu kämpfen haben, dürfte diese Regelung als eine glückliche empfunden werden.

Gewiß fehlt dem Pazifismus in Deutschland heute noch viel zu einem großen Erfolge über die noch starken Gegenströmungen. Zu übersehen ist aber nicht, daß die Friedensbewegung längst nicht mehr das Stiefkind ist wie einst. Die Tagespresse, die Zeitschriften sind pazifistischen Ideen nicht mehr in dem Maße verschlossen wie früher. Es besteht heute sehr wohl die Möglichkeit, pazifistische Artikel unterzubringen. Mancher Artikel, der unter den früheren Verhältnissen nur im »Völkerfrieden« hätte wiedergegeben werden können, wird heute anstandslos von vielen Blättern akzeptiert. Auch das ist zu beachten, daß wir Pazifisten nicht mehr wie einst Außenseiter sind, die nach vergeblichen Versuchen, die chinesische Mauer zu erklimmen, schließlich ärgerlich in ihren engen Kreis zurückkehren mußten, sondern daß uns bedeutende Arbeitsmöglichkeiten gegeben sind. Es ist nicht mehr der Kampf gegen Wind und Sonne. – –

So geben wir denn den »Völkerfrieden« auf. Nicht als Resignierende, sondern als Hoffende. Nicht verzagend, sondern vom Wunsche beseelt, uns zu sammeln, eine breite Front zu bilden, Kräfteverzettelung zu vermeiden. Wir vergessen nicht, was der »Völkerfrieden« uns gewesen ist, wie tapfer er gearbeitet hat, die kleine Schar zu vergrößern, und was er im Kriege gelitten hat. Wir gedenken in Herzlichkeit der Männer und Frauen, die für seinen Ausbau gewirkt haben und von denen so manche nicht mehr am Leben sind. Es ist ein guter Kampf gewesen, und er wird Früchte tragen.

Völker-Friede, Dezember 1919


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