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Der Schüdderump

Wenn du in Berlin bist und in ein preußisches Ministerium mußt, so sieh dich vor, daß du nicht aus Versehen ins Studio des Herrn Professor Brunner gerätst, denn dort ist es mulmig. Da sitzt der Herr Professor, von dem Frau Fama längst zu melden weiß, wie emsig er am Entwurf eines neuen Zensurgesetzes arbeitet, hat einen formidablen Rotstift in der Hand, vor sich ein Buch des jungen Curt Corrinth und sucht nach Stellen, die, traun fürwahr, geeignet sind, die deutsche Sittlichkeit von 1921 zu gefährden. Und rundherum, bis zur Decke gestapelt, jüngste Literatur, gleichermaßen stigmatisiert, und über dem ganzen ein sanfter Hauch von Cochonnerie. Und deshalb, lieber Leser, meide du das Kabinett des Dr. Brunner, und wenn du nicht weißt, in welchem Ministerium er sich befindet, so bleibe lieber zu Hause und bringe dein Anliegen fernmündlich vor. – Da aber Brunnern seine Schreibe noch nicht fertig ist, so sorgen einstweilen die Gerichte für Ersatz. Irgendwo im Paragraphenbukett wird sich schon ein Strohblümchen finden, mit dem man den Künstlern den Schaffensappetit verleiden kann.

Die Zensur liegt wieder in der Luft. Alles flennt über namenlose Verwilderung der Literatur, der Malerei, der Theaterkunst. Dabei wurden auch vor 1914 Pariser Schwänke gespielt, die alle neueren Imitationen um mindestens zwanzig Schweinelängen hinter sich lassen. Wurden in »Kabaretts« wüste Zoten gerissen, machten Groschenhefte mit allesverheißenden Titelbildern ihre Verleger reich. Um dieses Genre hat der Staat sich niemals gekümmert. Der hatte damals die »Büchse der Pandora« und das »Liebeskonzil« zu verbieten. Der hatte die Oberregie der Freudenhäuser, und der zahlungsfähige Bürgersmann exzedierte hinter zwiefachen Fensterläden. Das sah man nicht, und deshalb entrüstete sich niemand. Aber neuerdings spielt sich der Ringeltanz der Geschlechter in einer früher unerhörten Öffentlichkeit ab, und das hat der bürgerlichen Gesellschaft einen argen Schock verschafft. Und es ist auch diesmal so, wie es immer gewesen ist: wenn die Nichten des Augustus vor aller Augen ein Lotterleben führen, wird Ovid nach Tomi verbannt. Prostituierte wurden von jeher als Notwendigkeiten anerkannt, aber wenn die Töchter der Bürger anfangen, auf den Strich zu gehen, dann werden immer die Musen mit Ruten gestrichen.

Ich erlebte neulich in einem Berliner Possentheater, dessen Bühneneinrichtung durchweg aus einem alten, unendlich geduldigen Sofa besteht, wie als Clou der Vorstellung eine junge Dame gezeigt wurde, die nichts an hatte als ihre Unbefangenheit und ein paar schwarze Seidenstrümpfe. Wer in den letzten Kriegsmonaten in Brüssel war, wird sich vielleicht eines Komikers entsinnen, der Abend für Abend in der Gewandung eines würdigen Bischofs vor die Rampe trat und nach einer Einleitung, die einen längeren geistlichen Sermon befürchten ließ, plötzlich zu einer hanebüchenen Schilderung der Brüsseler Kokotten ausholte und alle die Marietten, Odetten und Pauletten in einem Vortrag von so nuancenreicher Unanständigkeit Revue passieren ließ, daß man immer wieder staunen mußte über die Ergiebigkeit der Muttersprache Racines und Victor Hugos, die vom aufgeblasenen Germanisten so gern ärmlich genannt wird. Und nun erwarte ich den Einwand: soll das auch bei uns Brauch werden, was hat die Geistesfreiheit damit zu tun, wenn die Polizei ein paar Schmutzfinken am Kragen nimmt?

Ich antworte: lieber nehme ich ein paar Ausschreitungen in den Kauf, als daß ich irgendeiner behördlichen Instanz auch nur ein bescheidenes Recht zum gelegentlichen Eingreifen einräume. Denn die Mobilisierung der Gesetzgebung bedeutet immer eine Gefährdung der freien Kunst. Während nämlich jene Berliner Vorstadtbühne die gutgeschulte Rückenpartie der so radikal abgepellten Dame der Bewunderung des Parketts auslieferte, beschlagnahmte das Amtsgericht Schöneberg bei dem vornehmen Kunstverlag Fritz Gurlitt eine Serie feiner erotischer Kleinigkeiten, die den Sammeltitel »Der Venuswagen« führte. Das ist die Probe aufs Exempel und zugleich charakteristisch für das ewige Böotiertum der Herren Ephoren: Priapus tollt auf offenem Markt und Dionysos wird eingesperrt.

Und deshalb, Herr Staatsanwalt, lassen Sie die Finger von Dingen der Kunst. Sehen Sie, die Künstler denken auch gar nicht daran, sich in Ihre Befugnisse einzumischen, neiden Ihnen auch nicht Ihr freundliches Recht, Leute einbuchten zu dürfen. Vergessen Sie auch niemals, daß das Wettrennen zwischen Venuswagen und Justizkarre eine sehr, sehr lange Geschichte hat und daß Ihr Fuhrwerk dabei nicht immer gut weggekommen ist. In einem Roman des alten Wilhelm Raabe wird von dem »Schüdderump« erzählt, das ist ein alter Wagen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, auf dem damals die Pestleichen fortgeschafft wurden, und der nun vergessen im dunkelsten Winkel eines alten Schuppens verfault. Lassen Sie sich warnen, Herr Staatsanwalt – und auch Sie, Herr Professor Brunner! Denn wenn es sich auch die hohe Göttin einfallen läßt, zuweilen bei den Schweinehirten länger Rast zu machen, als es die Reputation der Himmlischen gestattet –, einmal hüpft sie doch mit silberhellem Lachen in das leichte Gespann zurück und gleitet schnell dahin in die blaue Unendlichkeit, und die Sehnsucht folgt ihrer Bahn, während die Karre der Themis irgendwo mit Achsenbruch am Wegesrand liegenbleibt und den Modergeruch toter Jahrhunderte ausschwitzt.

Monistische Monatshefte. 1. Juli 1921


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