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Bayern vor der Entscheidung

Die journalistischen Mitrailleusen der Rechtsparteien in Berlin fühlen sich durch das Verbot ihrer neun Geistesschwestern ein wenig chockiert und beschränken sich auf ein leichtes Geknatter. Für Berlin ist die Offensive einstweilen verschoben; dafür stellt man mit Behagen die Nachrichten aus Bayern an die Spitze des Blattes. Die Herrschaften tun recht daran, denn Kommentare erübrigen sich; die wenigen Depeschen reden eine nicht mißzuverstehende Sprache: Bayern macht Obstruktion, Bayern fügt sich der Reichsregierung nicht. Der erste Gruß war der selten unflätige Nekrolog der offiziösen »Bayerischen Staatszeitung«; zwar ließ die Regierung erklären, daß dieser Artikel aus der Redaktion stamme und nicht ihre eigene Auffassung wiedergebe. Ein seltsames offiziöses Organ, ein Januskopf; der eine Mund weiß nicht, was der andere spricht.

Dennoch, für die Regierung Kahr, die sich dank der Schwäche der früheren Reichsregierungen durch alle Fährnisse hindurchschlängelte, naht jetzt die Stunde der Entscheidung. Die Zeit des Gewährenlassens ist zu Ende. Die Verordnung der Reichsregierung ist klipp und klar. Es geht demgegenüber nicht mehr an, wie in dem bekannten Hauffschen Märchen, den Juden Abner zu spielen, der nichts gesehen hat.

Einstweilen bleibt die »Münchener Morgenpost«, der Ersatz des verbotenen unabhängigen Organs, verboten. An den Anschlagsäulen kleben Aufrufe der seltsamen »nationalsozialistischen Arbeiterpartei« mit groben Verunglimpfungen der Reichsregierung. Der »Völkische Beobachter« und das Fischweib von Miesbach erscheinen unbehelligt weiter, und das letztere edle Organ stellt wohlgemut einen »Kriegszustand« zwischen Berlin und Miesbach fest und tobt wider die »Gemeinheiten« Berlins und der »Judenknechte«. Maßvoller in der Sprache aber gleichbedeutend in der Sache sind die Äußerungen der bayerischen Regierungsparteien. Die Korrespondenz der Bayerischen Volkspartei stellt die bürgerliche Einheitsfront fest, und auch die »Demokratische Korrespondenz« sieht in den Maßnahmen der Reichsregierung einen Eingriff in die gliedstaatliche Selbständigkeit Bayerns. Auf dem deutschnationalen Parteitag, der gestern in München mit einer etwas gedämpften Begrüßungsrede des Herrn Hergt eröffnet wurde, gaben die bayerischen Delegierten sich nicht mit solchen vorsichtigen, die Sache verdeckenden Redensarten ab, und der spiritus rector der Kahr-Regierung, der berüchtigte Oberst v. Xylander machte seinem bajuwarischen Löwenherzen rückhaltlos Luft, indem er ganz offen aussprach, daß Bayern »treu und unentwegt« zu seinem Königshause stünde.

Als die Ausnahmeverordnung der Reichsregierung bekannt wurde, schrieb ein Münchener reaktionäres Blatt mit zynischer Dreistigkeit, daß man mit diesen Bestimmungen die Störer der bayerischen Bierordnung noch besser als früher treffen könne. Das heißt, die Ausnahmeverordnung soll anstatt gegen das volksverhetzende Treiben der Rupprechtiner gegen die Verteidiger der Republik und der demokratischen Verfassung angewandt werden. Einen solchen Schimpf darf die Reichsregierung sich nicht bieten lassen. Es ist ihre Pflicht, sofort die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um der Münchener Obstruktion ein Ende zu bereiten. Es kommt nicht in erster Linie darauf an, für eine kurze Spanne Zeit den Giftspritzen aus den Hexenküchen Wulle und Maurenbrecher unerwünschte Ferien aufzunötigen, sondern die einzige reale Machtgrundlage der deutschnationalen Kamorra, die bayerische Regierung, entweder zu ihrer verfassungsmäßigen Pflicht oder zu ihrer Abdankung zu zwingen. Es wird nicht eher Reinigung der politischen Atmosphäre im Reiche geben, ehe nicht in Bayern an Stelle eines jeder rechtlichen Begründung entbehrenden Willkürregiments das Gesetz wieder seinen Einzug hält.

Wir verkennen nicht, daß die Aufgabe des Kabinetts Wirth eine ebenso schwierige wie heikle ist. Es handelt sich fürwahr nicht um eine »Verpreußung« Bayerns oder um eine Beeinträchtigung seiner nun einmal im Volksgefühl fundierten Eigenart – kein Vernünftiger nördlich des Mains denkt daran, und am wenigsten der Reichskanzler mit seinem lebhaften süddeutschen Demokratenempfinden –, aber es muß verhindert werden, daß ein Klüngel schlechter Separatisten unter heuchlerischer Betonung des »Bismarckschen Reichsgedankens« die Landesregierung zu einem Kurs zwingt, der naturnotwendig zu einer Kollision mit dem Rahmen des Reiches führen muß. Die Regierung Kahr betreibt Katastrophenpolitik. Eine Wendung kann nicht allein durch das Reich herbeigeführt werden; in Bayern selbst muß ein energisches: Bis hierher und nicht weiter! gesprochen werden. Es gibt genug Politiker, sowohl bei der Bayerischen Volkspartei als auch bei den Demokraten, die mit Entsetzen die Tollheiten des Ordnungsfimmels verfolgt haben und nicht wagten, bei der erregten Stimmung im Lande offen die Opposition zu eröffnen gegen den Terror bornierter Partikularisten und brotlos gewordener Ludendorffscher Nachrichtenoffiziere, die als »Urbayern« eine etwas merkwürdige Figur machen und eigentlich längst den gesunden bayerischen Volkshumor hätten aufkitzeln müssen. Es ist die Pflicht aller Vernünftigen in Bayern, in dieser Stunde der Entscheidung ihre zagen Bedenken beiseite zu tun und durch rückhaltlose Unterstützung der Reichsregierung dazu beizutragen, daß die in einen sinnlosen Rotkoller hineingehetzten Bürger und Bauern endlich erkennen, daß sie nicht den Interessen ihres bayerischen Volksstammes gedient haben, sondern der Todfeindin allen süddeutschen Wesens und des Gliedstaatengedankens überhaupt: – der preußischen Reaktion!

Berliner Volks-Zeitung. 2. September 1921


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