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Die Franzosen, die Judenfahne und der Schatten Loyolas

Die Franzosen halten den Maingau besetzt. Die Anlässe sind windig. Ob die Ruhraktion der Reichsregierung notwendig war oder nicht, bleibe dahingestellt. Jedenfalls sind die gallischen Heißsporne schon längst darauf erpicht, die Besetzungszone zu erweitern und die Frist zu verlängern, in der Hoffnung, daß diese Gebiete einmal vom Reiche zu trennen seien und unter französischem Protektorat ein Bündel ohnmächtiger Pufferstaaten abgeben könnten. In den Rheinlanden ist eine Bewegung vorhanden, die diesen Ideen entgegenkommt. In Bayern doktert der biedere Heim und sendet die Pfeile seiner Sehnsucht nach Deutsch-Österreich, wo ein unzufriedener Klerus, den der Tag von Serajewo um die Erntezeit einer Regierung Franz Ferdinands des Katholischen betrog, von einer Rhein-Donau-Konföderation katholischer Kleinstaaten träumt. Das Ergebnis einer kritischen Betrachtung ist leider, daß starke separatistische Strömungen im Süden und Westen unseres Vaterlandes bestehen. Man sollte diese Tatsachen, wie es heute gebräuchlich ist, nicht wegdisputieren. Man verkleinert die Gegensätze nicht, indem man sie erst in den luftleeren Raum projiziert, und dann als nichtexistent bezeichnet.

Ganz unabhängig davon ist natürlich die Frage, ob nicht Deutschland neu zu gliedern sei. Die Reichsverfassung, die in diesem Punkt von dem ersten Entwurf abweicht, hat die Lösung nicht gefunden, wie die Unzufriedenheit in zahlreichen Landesteilen beweist. Daß die Rheinlande und Hannover nicht einfach preußische Anhängsel, sondern dem Reichsverbande als Bundesstaaten einzugliedern sind, ist ein Gedanke, der täglich mehr Anhänger findet und in einer Zeit der Besinnung und der wachsenden Stetigkeit wohl auch verwirklicht werden wird. Jenes Verlangen französischer Imperialisten aber, Gebiete, deren deutscher Charakter außer jeder Diskussion steht, loszureißen, um daraus lebensunfähige Staatsgebilde zu schaffen, einzig von den Bajonetten der Entente gehalten, ist tief reaktionär. Wahnsinn wäre es, die europäische Zersplitterung noch weiter zu treiben, als es den stümperhaften Weltverteilern von Versailles bisher gelungen ist. Ein solches Unterfangen bedeutet: Mitteleuropa um mehr als fünfzig Jahre zurückzuwerfen, in die Zeit seiner Einigungskämpfe zurückzuschrauben, in eine Zeit, die längst historisch geworden ist. Wenn Herr Millerand, des großen Tigers Testamentsvollstrecker, mit dem Gedanken spielt, Mitteleuropa in einen Komplex von Kleinstaaten zu verwandeln, so steht er damit noch unter den österreichischen Politikern der Kriegszeit, die zwar manche Tollheit ausgebrütet, aber doch niemals daran gedacht haben, etwa die Einheit Italiens anzutasten. Ein selbständiges Rheinland, ein selbständiges Bayern wären aber nicht weniger unmöglich in dieser Zeit als etwa eine Republik Venedig, ein Großherzogtum Toskana usw. Nein, für die germanischen und romanischen Nationen Europas ist die Periode ihrer nationalen Einigung vorüber. Hier geht es um Größeres. Um die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Um Schaffung neuer sozialer Formen. Die Zeiten der Serenissimuspolitik und der Duodez-Velleitäten sind vorbei. Welch skurriler Anblick für uns Menschen dieser Zeit, wenn plötzlich aus den Museumsschränken die mottenzerfressenen Wappentiere der Landschaften mit ritterlicher Gebärde aufsteigen und ihre »unverjährten Rechte« anmelden. Gespensterturnier!

Wir fordern das einige Deutschland. Wir blasen nicht deutschvölkisch die Backen auf und sprudeln nicht Bismarckzitate. Wir verlangen nur Respektierung geschichtlicher Tatsachen. Im übrigen ist nichts lustiger als eine Parade der Herren Separatisten. Die Gesellschaft ist sehr gemischt, aber es überwiegen doch diejenigen, die keine Bismarckfeier versäumten und immer tief durchdrungen waren, daß nur deutsches Wesen eine kranke Welt von angelsächsischem Krämertum, welscher Frivolität und judäischer Zersetzungssucht kurieren könnte. Also Pfeffersäcke, denen der Bolschewistenschreck in die Glieder gefahren ist. Doch sind gefährlicher die verbissenen Reaktionäre, die Feueranbeter der alten Ordnung. Leidenschaftliche Hasser der demokratischen Republik, sind sie bereit, selbst mit dem Teufel aus einer Assiette zu löffeln, heute mit Foch, morgen mit Lenin zusammenzugehen. Und während sich so in aller Heimlichkeit allerhand tut, wird Großdeutschlands Schwarz-Rot-Gold als »Judenfahne« bespuckt. (Übrigens hat ein Historiker die amüsante Hypothese aufgestellt, die Farben Schwarz-Weiß-Rot seien in alttestamentarischen Zeitläuften diejenigen des Stammes Levi gewesen. Doch das nur nebenbei.) Hinter all diesem Treiben bedenkenloser Glücksritter, professioneller Stänker, verbohrter Partikularisten, wildgewordener Alldeutscher (contradictio in adjecto?!) harrt mit gespannten, lauernden Zügen ein blasser Mann im steifen, spanischen Habit des sechzehnten Jahrhunderts. Er ist klug, er weiß, daß alle diese da kein einheitlicher Wille treibt, daß sie aus den verschiedensten Beweggründen handeln. Aber er weiß auch, daß diese alle, ob sie wollen oder nicht, für ihn arbeiten, denn er hat, was ihnen fehlt: die Idee, das Ziel, die Disziplin, die Eigensüchte bändigt. Da in den Städten und Dörfern, überall wandeln Menschen, die kaum seinen Namen kennen und die doch denken nach Gesetzen, die er gegeben, und die die Grenzen respektieren, die er dem Denken gezogen. Der blasse Mann mit den zerlittenen Zügen, er kennt die Macht der Gewohnheiten, des Vererbten, die treue Liebe zum Gängelband. In den alten Städten an der Pfaffengasse sind sie mißvergnügt, in Bayern, Tirol, Deutsch-Österreich gleichfalls. Hilfesuchend wenden sie sich an ihre Kirche, an die Kirche, der er den Stempel seines Geistes tief eingeprägt hat: geduldig, zähe, in Leiden geübt, und dazu die Sucht, die Seelen zu beherrschen. So wartet er auf die Stunde, da er alles zusammenzufassen vermag, was heute richtungslos umherirrt, um es entgegenzusetzen dem fremden Geist des Nordens, dem Geist des Zweifels und der nimmermüden Sehnsucht nach Erkenntnis. Dann soll von neuem erstehen das Reich des siebenten Gregor, der Romanismus, die Theokratie; eine Kette am Fuß der protestantischen und ungläubigen Welt.

So wandelt der schattenhafte Mann durch die rheinischen Städte. Vielleicht wird er einmal irgendwo jenen nächtlichen Wanderer treffen, der vor mehr als siebzig Jahren, den Liktor hinter sich, die heiligen drei Könige zu Köln so respektlos apostrophierte. Und dieses Zusammentreffen wird die Entscheidung bringen.

Monistische Monatshefte. 1. Juni 1920


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