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Die Würde des evangelischen Geistlichen

Eine Berliner Synode hat jüngst einem ihrer Mitglieder, dem Pfarrer Bleier in Charlottenburg, eine scharfe Rüge erteilt, so scharf, daß sie fast den Charakter eines Ultimatums trägt. Der Anlaß ist folgender: Es befand sich bis jetzt im ehemaligen königlichen Schloß zu Charlottenburg ein Lazarett, das von der übergeordneten Behörde geschlossen werden sollte, nachdem es dort zu leider recht häßlichen Konflikten zwischen Behörde und Verwaltung gekommen war. Der Fall erregte einiges Aufsehen und wurde in der Presse lebhaft besprochen. In Charlottenburg wurde gegen die Schließung eine öffentliche Versammlung veranstaltet, in der auch Pfarrer Bleier gegen die Schließung polemisierte. Sofort machte die fromme »Kreuzzeitung« gegen diesen Pfarrer mobil, und zwar in einer Weise, die nur als denunziatorisch bezeichnet werden kann. Dieser Ruf wurde von der Synode nicht überhört. Bleier, der Mitglied der sozialdemokratischen Partei ist und neuerdings recht bekannter pazifistischer Versammlungsredner, war den Herrschaften schon längst ein Dorn im Auge. Die Angriffe fielen hageldicht. Am eifrigsten waren natürlich die »Liberalen«. Das Schmachvollste an der ganzen Aktion aber war, daß man nicht offen und ehrlich den wahren Grund angab – es wäre auch zu blamabel gewesen, einen Mann zu rüffeln, der für die unglücklichen Kriegskrüppel sich eingesetzt hatte –, sondern daß man seine Zuflucht zu einem dilettantischen Jesuitismus nahm. Man tadelte nicht das Auftreten des Pfarrers an und für sich – man tadelte nur die Form des Auftretens, man bezeichnete seine Weise zu sprechen als der Würde der evangelischen Kirche nicht angemessen. Das ist, mit Verlaub zu sagen, mehr als jämmerlich. Es gibt heute keinen reaktionären Bockstreich, bei dem nicht die Bäffchen eines evangelischen Geistlichen sichtbar werden. Evangelisch kirchlich sein bedeutet – von wenigen tapfern Ausnahmen abgesehen – monarchistisch sein, alldeutsch sein, militaristisch sein. (Die katholische Kirche verfährt da weit klüger.) Und in was für Formen das geschieht, darüber brauche ich kein Wort zu verlieren. Davon haben wir alle schon höchst interessante Proben erlebt. Desto entschiedener ist aber die faustdicke Heuchelei der Synodalen zu brandmarken, die einem Amtsbruder, dessen politische Überzeugung die Homogenität dieser wahrhaft evangelischen Körperschaft stört, die temperamentvolle Form seiner Rede zum Verbrechen stempeln wollen. Wäre der deutsche Protestantismus nicht so hochgradig verkalkt, so könnte man darauf verweisen, daß alle großen Christen auch große Hasser waren und nicht zimperlich in ihren Worten, wenn sie etwas bekämpften. Nichts mehr verbindet diese Kirche mit Origenes, mit Augustinus, nicht einmal mehr mit Luther. Ihr Stammvater und porträtechtes Sinnbild ist jener Philipp Melanchthon, der ängstliche bibbernde Stubenhocker, der in die neue Kirche die Ketzerriecherei der alten hineingetragen und seine blutlosen Spinnenfinger an Servets Scheiterhaufen gewärmt hat.

Monistische Monatshefte. 1. August 1921


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