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Deutsches Theater Georg Büchner: »Woyzek«

Es ist heute Gott sei Dank nicht mehr erforderlich, Georg Büchner gegen philiströse Literaturen zu verteidigen, die jahrzehntelang ihn behandelten, wie etwa sein verblasener Doktor den armen Woyzek. Büchner war weder ein in Irrsinn versunkenes Genie, noch ein unzeitgemäßer Nachfahre des Sturmes und Dranges, sondern der Vorläufer einer Moderne – einer Moderne, auf die wir noch warten.

Der »Woyzek« ist in den letzten zehn Jahren wiederholt gegeben worden. Der Erfolg bewies jedesmal, daß hier mehr war als eine interessante Ausgrabung. Dennoch verhindern die technischen Schwierigkeiten dieser Folge von kleinen und kleinsten Szenen einen Siegeszug über die deutschen Bühnen. Max Reinhardt beschränkte sich auf schlichte, aber stimmungskräftige Hintergründe. Die Bühnenbilder von John Heartfield und Franz Dworski betonten mit Glück das spukhafte Element, das die irdische, allzu irdische Fabel vom Leben und Sterben des armen Franz Woyzek umwittert. (Zum ersten Male las man auf dem Theaterzettel diese richtigere Form, anstatt der früher gebräuchlichen »Wozzek«.)

Reinhardts tiefste Begabung zeigt sich immer dann am reinsten, wenn er nicht den massengebietenden Theater-Napoleon zu spielen hat, sondern einen kleinen Rahmen mit Leben erfüllen muß. Haupt- und Staatsaktionen geräuschvoll durch die Arena hetzen, das können, wie sich gezeigt hat. andere auch. Aber Duft und Schimmer eines Dichterwerkes für die Bretter zu retten, das ist sein eigenster und schwerster Beruf. Davon legt auch dieser Büchner-Abend wieder und wieder Zeugnis ab.

Eugen Klöpfer war der Träger der Titelrolle. Ein armer Kerl von Epileptiker, schlichthaarig, mit grauem, vergrämtem Antlitz, ein wenig böhmakelnd – das richtige Objekt zum Schikanieren und Betrügen. Wie er mit stummem Blick eine Gottheit anzuflehen scheint, ihm doch die schwere Zunge zu lösen, wie allmählich in der geduckten und geschundenen Kreatur die Bestie erwacht, das wird lange in Erinnerung bleiben. Auguste Pünkösdy als Marie war, was sie sein soll – kein bibberndes Gretchen, sondern ein derbes, proletarisches Mädel voll heißer Sinnlichkeit. Von den vielen Mitwirkenden seien noch Diegelmanns spießiger Gamaschenknopf, Dieterles buntlackiertes Vieh von Tambourmajor und der gelehrte Kretin des Herrn Kühne genannt.

Reinhardt, Klopfer und die Pünkösdy wurden immer wieder gerufen.

Berliner Volks-Zeitung, 6. April 1921


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