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»Ohne Krieg zur Unabhängigkeit«
Eine Aussprache über den Anschluß

Auf Veranlassung des Österreichisch-Deutschen Volksbundes fand im Herrenhause eine Aussprache statt über den jetzigen Stand der österreichisch-deutschen Anschlußfrage. Als Referent war gewonnen worden der Abgeordnete Preußler, Landeshauptmannstellvertreter von Salzburg. Herr Preußler, der der sozialdemokratischen Partei angehört, nahm seine Aufgabe weniger politisch als vielmehr allgemein menschlich. Wir sind dem Volksbund dankbar, daß er uns die Bekanntschaft dieses klugen, schlichten und phrasenlosen Volksmannes vermittelte, dessen Deutschtum sich nicht pathetisch und provozierend entladet, sondern in einem tiefen Heimatgefühl wurzelt, das durchaus identisch ist mit einem tiefen, unverfälschten Menschheitsgefühl.

Nachdem der Redner noch einmal alle politischen und wirtschaftlichen Argumente zusammengefaßt hatte, die für den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich sprechen, wandte er sich freimütig gegen gewisse Strömungen in Deutschland, die von der überwiegenden Mehrheit der Österreicher abgelehnt werden. Herr Preußler äußerte sich etwa folgendermaßen:

»Unser Heil liegt nicht darin, daß wir die Faust im Sacke ballen und Revanche schreien. Wir müssen zur Unabhängigkeit und Selbständigkeit ohne Krieg gelangen. Chauvinismus ist die Angelegenheit einer versunkenen Herrenklasse, und nicht die des Volkes. Wir müssen nicht nur den Stammesdünkel überwinden, der Deutschland noch immer in viele Teile spaltet, sondern auch über die engherzige Klassenauffassung hinwegkommen, die sich vor dem Kriege in Deutschland wie in Österreich in Wahlrechten äußerte, die die große Mehrheit des Volkes von den Angelegenheiten des Staates ausschlossen. Nur wenn wir das überwinden, werden wir zu einem deutschen Gesamtvolk kommen, dem auch wieder die Achtung der Welt zuteil werden wird.«

Diese Ausführungen sagten einem Teil der Anwesenden wenig zu; der Gast aus Salzburg wurde lärmend unterbrochen. Es läßt sich nachfühlen, daß den Herren ein Wiener Faszist, der die »Reigen«-Aufführungen mit Stinkbomben heimsuchte, lieber gewesen wäre als dieser ehrliche Demokrat. Die Diskussion war langatmig und ohne Niveau. Abgeordneter Heile und Stefan Großmann versuchten vergeblich, Gedanken hineinzutragen. Graf Montgelas überbrachte dem Salzburger einen Gruß des benachbarten Chiemgau. Das war gewiß sehr freundlich, aber das schöne Wort »Feindbund« sollte der Pazifist Montgelas ruhig der »Deutschen Zeitung« überlassen.

Berliner Volks-Zeitung. 15. Juni 1921


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