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Arbeiterkunst Ausstellung im Osten

Weit im Osten draußen, im Hause Petersburger Str. 39, hat eine Arbeiterkunstausstellung ihre Pforten geöffnet. Dazu sind einige Worte zu sagen. Nicht vom Standpunkte des kritischen Betrachters aus, der mit Zensurprädikaten in der Tasche an den Wänden entlang spaziert. Wohl aber muß der Volksfreund sich äußern, der mit Aufmerksamkeit die Regungen der Massenseele verfolgt.

Diese etwa 300 Bildwerke sind an sich durchaus ungleichwertig. Durchschnittlicher Dilettantismus wechselt in bunter Reihenfolge mit Streben nach äußerster Naturwahrheit und Verlangen nach eigener Ausdrucksform. Kein individueller Kunstwille gibt das Gepräge, aber es ärgert auch keine affektierte Gewolltheit. Deshalb sind Parallelen mit andern Ausstellungen nicht am Platze. Die Aussteller hier sind keine Berufskünstler, infolgedessen auch nicht literarisch belastet und auf keine Richtung eingeschworen. Das alles ist nach schwerem Tagewerk entstanden, oft genug wohl müde gearbeiteten Händen und vorzeitig trübe gewordenen Augen abgerungen. Von den beigegebenen Lebensläufen prägt sich die stereotype Formel ein: »es fehlten die Mittel zur Ausbildung.« Grabsteine jugendlicher Hoffnung! Man wende nicht ein, wie viele Große sich trotz alledem ihren Weg zu bahnen verstanden. (Von der Kehrseite: wie viele nämlich unterwegs in den Sielen gestorben, davon spricht niemand.) Aber unsere Aussteller hier, diese Metallarbeiter, Former, Tischler und Anstreicher treibt ja durchaus kein so individuelles Kunstverlangen. Ihre Leistung ist nicht zu werten als das Ringen um ein fertiges, rundes Kunstwerk, das als persönliche Tat genommen und Epoche machen soll, sondern als Versuch, die Farben und Linien der Umwelt einzufangen, nicht wie der einzelne das auf der Netzhaut hat, sondern wie die große namenlose Masse, der der einzelne angehört, das alles sieht. Eine verschwiegene Kunst der Werkleute, anonym wie die der Klosterbrüder, die einst in stiller Klosterzelle mit rührender Hingebung ihre Initialen und Miniaturen hinstrichelten. So sind diese Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen und Karikaturen aufzufassen. Sie sind Zeugen dafür, wie das, was man mit einem fatal ungenauen Ausdruck die »Masse« nennt, alles, was sie erlebt, erniedrigt, entzückt und zerschmettert im Umriß festzuhalten versucht. Sie sind auch Zeugen eines stillen aber rastlosen Volksidealismus, der unter Ruß und Staub lebt und atmet. Wenige wissen von ihm und doch wird er vielleicht einmal in glücklicheren Zeiten den ganzen überkommenen Kunstbetrieb von Grund aus umgestalten.

Seht euch diese Ausstellung (deren Zustandekommen Ernst Friedrich zu danken ist) an. Sie verdient alle Aufmerksamkeit. Aber laßt gefälligst alles Angelernte zu Hause und vertraut euch dem Augenblick an!

Berliner Volks-Zeitung. 8. April 1921


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