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»Offiziere«, ein Beleidigungsprozeß
Ignaz Wrobel freigesprochen

Vor der Strafkammer 10 des Landgerichts I wurde gestern eine Angelegenheit erledigt, die die Kammer schon einmal beschäftigt hat. Wir haben seinerzeit davon berichtet, daß der Schriftsteller Dr. Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel vor Jahresfrist in der »Freiheit« einen Artikel veröffentlicht hatte, der scharfe Vorwürfe enthielt gegen die Offiziere der alten Armee. Das Reichswehrministerium erblickte in diesem Artikel eine Beleidigung der Offiziere der gegenwärtigen Wehrmacht und stellte Strafantrag. Im letzten Termin wurde von der Verteidigung darauf hingewiesen, daß der Strafantrag nicht vom Reichswehrminister unterzeichnet sei, sondern von dem Obersten v. Feldmann, über dessen Befugnis zu einer solchen Handlung dem Gericht nichts bekannt war.

In der gestrigen Verhandlung wurde von Seiten der Verteidigung, Dr. Oskar Cohn und Rechtsanwalt Nübell, geltend gemacht, es widerspreche dem Geiste des Staatsrechts, wenn der Gehilfe eines Ministers, der ihn lediglich in internen Ressortangelegenheiten vertrete, eine politische Handlung ohne Gegenzeichnung des Gesamtministeriums vornehme. Im übrigen habe der Angeklagte nicht die Offiziere der Reichswehr gemeint. Schon unter dem alten Recht sei das Offizierkorps nicht unter den Begriff der kollektiven Personeneinheit gefallen. Und heute gebe es ein Offizierkorps im alten Sinne überhaupt nicht mehr. Gewiß sei ein Teil der früheren Offiziere in die Reichswehr übergegangen, aber es sei eine unhaltbare Konstruktion, zu folgern, diese müßten sich beleidigt fühlen, wenn Vorwürfe erhoben würden gegen eine Institution, der sie einmal angehört hätten, die aber nicht mehr existiere.

Dr. Tucholsky führte aus, er habe nicht die Offiziere der Reichswehr beleidigen wollen. Er bekämpfe nicht Personen, sondern ein System. Er bekämpfe auch nicht, wie einmal irgendwo behauptet wurde, die republikanische Reichswehr, er bekämpfe die Reichswehr, weil sie nicht republikanisch genug sei. Er bitte, über den Rechtsfall, nicht über eine Gesinnung zu urteilen.

Staatsanwalt Gerlach erachtete die Voraussetzungen der Anklage nicht als erschüttert. Das Gericht gelangte nach längerer Beratung zu einer Freisprechung. In der Begründung des Urteils wird ausgeführt, daß der Vertreter des Reichswehrministers zur Unterzeichnung der Strafanzeige formell berechtigt gewesen sei. Der Angeklagte aber habe nicht dolos gehandelt, das Bewußtsein der Beleidigung wäre nicht vorhanden gewesen. Das Gericht könne nicht prüfen, in welchem Umfange frühere Angehörige der Wehrmacht beleidigt worden seien, sondern lediglich, ob im Rahmen des Strafantrages Offiziere »in bezug auf ihren Beruf« beleidigt worden seien. Diese Frage aber müsse das Gericht verneinen und deshalb den Angeklagten freisprechen.

Berliner Volks-Zeitung. 4. November 1921


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