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Drehscheibe und Hemmschuh
Die Deutsche Volkspartei von gestern und morgen

Der diesmalige Wahlkampf erhält ein besonderes Gepräge durch die ebenso breitspurige wie lärmende Agitation der Deutschen Volkspartei, derselben Partei, die bei den vorigen Wahlen ziemlich im Schatten gestanden hat. Es gibt keine Partei, die am Vorabend der Wahlen nicht hoffnungsvoll wäre oder wenigstens nicht so täte. Aber wir haben es in Deutschland bisher noch nicht erlebt, daß eine Partei mit einem so aufdringlich zur Schau gestellten Optimismus sich der Wählerschaft vorgestellt hätte. Leichteren Herzens noch als 1870 der französische Minister Ollivier die Verantwortung für den Krieg auf sich zu nehmen sich erkühnte, wollen die Koryphäen der Deutschen Volkspartei an Deutschlands Wiederaufbau herangehen. Mögen andere sich das Hirn zermartern, wie dem deutschen Volke zu helfen sei, Bosco-Stresemann, der Tausendsassa, der Bethmann-Stürzer und Kapp-Mäzen führt das Rezept in der Westentasche. Deutschland ein Trümmerfeld? Lächerlich! Für Politiker von dieser Gelenkigkeit ein Parkett, über das man leichten Fußes hinwegtänzelt. Der 6. Juni wird erweisen, ob eine Propaganda von amerikanischen Ausmaßen allein genügt, einen Erfolg zu verschaffen einer geist- und charakterlosen Partei, aus den verschiedensten Elementen bestehend, einzig zusammengehalten durch Interessen, die, gelinde ausgedrückt, keine Volksinteressen sind. Ein gründlicher Mißerfolg der Deutschen Volkspartei würde nach langer Zeit eine erste starke Manifestation der politischen Reife des deutschen Volkes bedeuten!

Im Revolutionsmonat 1918 schien Führer Stresemann von der Notwendigkeit der jetzigen »Wiederaufbaupartei« noch nicht überzeugt gewesen zu sein, denn er versuchte durch eine Hintertür in die demokratische Partei hineinzukommen; glücklicherweise wurde diese Tür rechtzeitig zugesperrt. Jedenfalls, in den Wochen, die den Wahlen zur Nationalversammlung vorangingen, verhielt sich die frisch etikettierte Partei sehr bescheiden. Und das mit Recht. Denn keine von den alten Parteien kam so bis auf die Knochen blamiert aus der Kriegs- und Vorkriegspolitik wie die nationalliberale Partei, als deren Verlängerung die Deutsche Volkspartei sich darstellte. Hier hatten vor dem Kriege die ärgsten Scharfmacher, Jingos und Weltverteilungsphantasten gesessen, die von 1914 bis 1918 ganz folgerichtig an der Spitze aller Überannexionisten, U-Boot-Matadore und Kriegsverlängerer marschieren mußten. Hier war auch das Hauptquartier jener bedenkenfreien Geschäftspolitik gewesen, die der nationalliberalen Reichstagsfraktion den bösen Spitznamen »Aufsichtsratsfraktion« eingetragen hatte. Neben Herrn Paasche, dem allzu spät von der politischen Bühne Verdrängten und dem vor einigen Jahren verstorbenen Dr. Semmler, der in virtuoser Weise das Amt eines Syndikus führender Kolonialgesellschaften mit dem eines hervorragenden Mitgliedes des Kolonialausschusses zu vereinigen wußte, dem »Africanus major«, wie ihn Ledebour einmal nannte, wirkt der vielgeschmähte Erzberger wie eine sehr matte Sedez-Ausgabe. Wollte Cato Helfferich sich nicht immer so einseitig entrüsten, da könnte er seiner Toga einen noch viel pompöseren Faltenwurf verleihen und einen ganzen Rattenkönig von Prozessen heraufbeschwören. (Es ist schade, daß dieser Vakuumreiniger immer dann versagt, wenn er vors eigene Haus oder das der guten Nachbarn geschoben wird.)

Aber schlimmer als alles das sind die Sünden wider den Geist des Liberalismus, die diese Partei auf sich lud, die doch noch immer den Liberalismus auf ihren Fahnen trug. Die entarteten Erben des großen Lasker wurden wirtschaftspolitisch Schutzzöllner und Imperialisten, innerpolitisch Feueranbeter des Polizeistaates, Verfechter der Privilegienwahlrechte, Vertreter einer krassen, einseitigen Unternehmerunmoral; bürgerliche Anhängsel der Junkerclique. Diese doppelte Buchführung – einerseits liberale Theorie und andererseits erzreaktionäre Praxis – mußte nicht nur auf die Partei, sondern auch auf weite Kreise des ihr anhängenden Bürgertums zersetzend und demoralisierend wirken. Es kam schließlich soweit, daß die Partei bei jedem politisch Denkenden, einerlei welcher Richtung, auch den letzten Kredit verlor. Nationalliberal, das hörte auf, eine parteiliche oder politische Bezeichnung zu sein, es wurde ein Gattungsbegriff, eine Kennzeichnung für alles Verwaschene, Unsolide, Zweideutige, Prinzipienlose. Und gerade aus diesem offenbaren Manko an Hirn und Rückgrat wurden die Nationalliberalen, die »Nationalmiserablen«, wie sie der Volksmund so sehr zutreffend nannte, zu den echtesten Repräsentanten der Talmikultur, der nachbismarckischen Periode des Deutschen Reiches. Alles, was damals Demokraten und Sozialisten bis aufs Blut empörte, das brauchten sie, die längst kein Volk mehr hinter sich wußten, die bei den Wahlen bald von der Rechten, bald von der Linken als »kleineres Übel« gewertet wurden, um ihre klägliche Existenz zu fristen. Sie brauchten die politische Stickluft, das Halbdunkel des Schein-Konstitutionalismus, das Milieu des Kuhhandels. In dieser Atmosphäre, in der alles Gesunde rebellisch werden mußte, wenn es nicht verwesen wollte, da blühte der Weizen der Mächler, der Kompromißler. Ohne die erbärmliche Politik dieser »Mittelpartei« hätten wir in Deutschland 20 Jahre früher das parlamentarische System erreichen können und damit wäre uns manche Posse und vielleicht auch manche Tragödie erspart geblieben. Da aber die Nationalliberalen das Freilicht des souveränen Parlaments nicht vertragen konnten, sondern einen Reichstag haben mußten, so wie er in der wilhelminischen Ära war, eine trübselige Attrappe und nichts mehr, deshalb hintertrieben sie die Entwicklung zum Volksstaat. Und haben damit nicht nur einen notwendigen Prozeß aufgehalten, sondern auch mit traurigstem Erfolge weiten Kreisen des Volkes den Parlamentarismus überhaupt verekelt. Noch heute spielt in der linksradikalen Agitation eine große Rolle jenes Schlagwort »parlamentarischer Kretinismus«, und der Beifall, der dieses Wort lohnt, er ist eine späte Wirkung nationalliberaler Politik. Und darüber hinaus noch haben die Bassermann und Paasche und Stresemann, die ihre Partei so gern als die »bürgerliche Partei« par excellence bezeichneten, das Wort »bürgerlich« in jenen Verruf gebracht, den noch heute gerade ehrliche Demokraten in Arbeiterversammlungen so bitter empfinden müssen. Erst in dem letzten Jahrfünft vor dem Kriege ist es einem neuerstarkenden Linksliberalismus gelungen, auch dem »Bürgerlichen« eine gewisse Resonanz in sozialistischen Kreisen zu verschaffen und durch gemeinsame Arbeit mit Angehörigen der Arbeiterpartei in Parlament und Gemeinde etliches von dem Mißtrauen abzutragen.

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Das ist die Partei des Wiederaufbaues! Die Partei der großen Verheißungen! Die nicht über einen Charakterzug verfügt, der einem Wechsel auf die Zukunft gliche, sondern nur über das Scheckbuch des westfälischen Industriekapitäns. Einstweilen müssen wir einer Partei, die wirklich keine weitere Fähigkeit besitzt als die Zahlungsfähigkeit und keinen anderen Geist als jenen, den ihr Abfall von rechts und links ins Haus trägt, in aller Ruhe die Berechtigung bestreiten, sich »Volkspartei« zu nennen. Zugeben muß man allerdings, daß die geistige Mitgift etwa eines Kardorff noch immer ansehnlicher ist als das schmale Gepäck der Mugdan und Genossen.

Eine Potenz wäre allenfalls da. Stresemann! Er bestreitet die geistigen Unkosten, die die Firma mit sich bringt; für die anderen haftet Stinnes. Herr Stresemann ist gewandter Politiker in des Wortes nicht erquicklicher Bedeutung. Ein spumöser Rhetor. Sonst nichts. Sein Programm ist die Programmlosigkeit. Seine zentrale Idee die Ideenlosigkeit. Er ist bereit zu jedem Mischmasch. Bald verspricht er eine Politik ohne Kompromisse und bald eine Politik mit allem und jedem. Er beschwört mit stolzen Worten die liberalen Traditionen seiner Partei und erhitzt sich im gleichen Atemzuge teutonisch und antisemitisch. Sein Herz ist weit genug, um zu gleicher Zeit Scheidemann darin zu beherbergen wie Kunze mit allen seinen Knüppeln. Er kann alles. Er kann mit Westarp und Oberst Bauer machen, und er kann mit den Sozialdemokraten machen. Und eben, weil er alles kann, deshalb ist er ein Schädling. Wir brauchen nicht die Routine, sondern die politische Idee. Wir brauchen den Charakter und nicht den Verwandlungskünstler.

Das deutsche Volk aber hat zu beweisen, daß Finanzkraft allein keinen Wahlsieg verbürgt. Daß man zwar Zeitungen kaufen kann, aber keine Stimmen. Es möge dieser seltsam bunten Partei eine gründliche Abfuhr erteilen. Wir sind überzeugt, es wird die Dürftigkeit hinter der lockenden Mache durchschauen und sich weder bezaubern lassen von Kardorffs konservativer Ideologie, noch von Stresemanns akrobatischen Leistungen, noch von Wiemers seriösem Bariton. Aber verhindert werden muß auch ein kleiner Erfolg. Keinesfalls darf die Deutsche Volkspartei in die ihr sehr erwünschte Lage kommen, etwa das Zünglein an der Wage zu bilden, um in dieser bequemen Rolle jede fruchtbringende Arbeit zu sabotieren und den neuen Reichstag mit jener blamablen Gelegenheitsmacherei ebenso zu kompromittieren, wie ihre Vorgängerin etliche frühere kompromittiert hat. Die »Fraktion Drehscheibe« von gestern soll nicht die »Fraktion Hemmschuh« von morgen werden.

Berliner Volks-Zeitung, 3. Juni 1920


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