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Aus der Pöhner-Praxis
Die »Nationalsozialistische Arbeiterpartei«

( Von unserem Sonderberichterstatter.)
München, 24. September

Auf dem Görlitzer Parteitag hat der Abgeordnete Wels sehr bemerkenswerte Ausführungen über das Spitzelsystem in Bayern gemacht. Man geht nicht fehl, wenn man den Polizeipräsidenten Pöhner, diesen nach Herrn Eichhorn merkwürdigsten aller Ordnungshüter, als den Nährvater aller dieser mehr oder minder geheimen Konventikel betrachtet. Seiner besonderen Protektion erfreute sich auch die sogenannte »Nationalsozialistische Arbeiterpartei«, von einem sicheren Hitler gegründet, die wiederholt Veranlassung zu allerlei turbulenten Auftritten gegeben hat. Auch neuerdings steht dieses obskure Parteigebilde wieder im Mittelpunkt eines kleinen Skandals, der zu einer Interpellation im Münchener Stadtrat führte. Den »Nationalsozialisten« waren nämlich für ihre Veranstaltungen bereitwilligst Schulräume zur Verfügung gestellt worden. Vor wenigen Tagen war es dem mehrheitssozialistischen Stadtrat Maurer gelungen, in der Siboltschule, deren Verwaltungsrat er angehört, eine Versammlung von »Jungmannen« der Hitler-Partei auszuheben. Als Herr Maurer unvermutet den Saal betrat, fand er diesen überreichlich mit Hakenkreuzen und ähnlichen Abzeichen geschmückt, während die Wandtafel mit allerhand geheimen Ziffern bedeckt war. Der Vorsitzende gab sich die größte Mühe, Papiere verschwinden zu lassen, überhaupt, sich harmlos zu stellen. Dennoch bewiesen die 60 bis 80 jungen Leute, die im Saale waren, durch ihr Benehmen, daß sie bei unerlaubtem Treiben überrascht waren. Die Empörung über die Verhetzung der Jugend ist ziemlich allgemein, namentlich, da auch festgestellt wurde, daß die »Nationalsozialisten« regelrechte Sturmabteilungen gebildet haben, die sich wiederholt bei Versammlungssprengungen in rüdester Weise betätigt hatten. Eine der aufgefundenen Werbekarten für diese »Sturmabteilung« trägt die Unterschrift eines gewissen Klintzich, der als Mitwisser des Erzberger-Mordes verhaftet wurde. Alle diese Enthüllungen haben das Pöhner-Regiment hoffnungslos kompromittiert. Man ist der Ordnungsretterei mit Hilfe von Radaubrüdern und noch schlimmeren Elementen gründlich satt. Man sehnt sich nach Ruhe. Bezeichnend ist, daß Pöhner, der Gestrenge, früher Staatsanwalt war und als solcher durch die Härte seiner Strafanträge allgemein gefürchtet war und selbst bei seinen Kollegen deswegen nicht in gutem Ansehen stand.

Berliner Volks-Zeitung, 24. September 1921


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