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Rundschau

Noch immer schwebt die Frage, ob die Regierungsbasis durch die Hinzuziehung der Deutschen Volkspartei zu erweitern sei. Zum großen Glück des deutschen Volkes hat Herr Stresemann durch seine jüngsten Erklärungen dieses Problem wesentlich erschwert und dadurch – vereinfacht. Denn gerade durch Stresemanns Superklugheit ist die Deutsche Volkspartei wieder einmal entlarvt worden als die typische Partei der Gelegenheitsmacherei, stets bereit, an jedem Feuer ihr Süppchen zu wärmen und ebenso bereit, seitwärts in die Büsche zu verschwinden, wenn es gilt, ein wenig Verantwortung zu tragen. Während Herr Stresemann seine Seiltänzerkunststückchen vorführt, hat indessen Herr Ledebour in einem längern Artikel in der »Freiheit« die Stellung seiner Partei zum Kabinett Wirth präzisiert. Es soll uns hier nicht interessieren, daß bei der Gelegenheit einige Liebenswürdigkeiten für den »Vorwärts« und die Sozialdemokratische Partei überhaupt abfallen. Dergleichen ist bei den Manifestationen beider Parteien so sicher wie das Amen in der Kirche. Was sich liebt, das neckt sich. Anzuerkennen ist aber, daß Herr Ledebour der Regierung gegenüber eine Politik nicht unfreundlicher Neutralität proklamiert und alle »Ranküne und Sabotage« verwirft. Zu einer aktiven Beteiligung kann sich Herr Ledebour allerdings nicht bereit finden. Er glaubt, seine Partei könne der Regierung nützlicher werden, wenn sie draußen bliebe. Das alles ist, an der früheren Haltung der Unabhängigen gemessen, schon ein großer Fortschritt, genügt aber keineswegs in der jetzigen so gründlich veränderten Situation. Politik der freien Hand kann man treiben in Zeiten, die etwas weniger außerordentlich sind als die gegenwärtige. Das Zentrum hat jahrzehntelang von solchen Mitteln gelebt und die Nationalliberalen versuchten sich, allerdings mit weniger Erfolg, in ähnlichen Praktiken. Das mag unter dem Halbabsolutismus des alten Regime durchaus profitabel gewesen sein. Heute aber heißt es, Farbe zu bekennen und immer die Hauptportale zu benutzen und keine versteckten Seitenausgänge. Die Aufgaben des Herrn Dr. Wirth und der Parteien hinter ihm sind so erdrückend, daß schon jeder, der nicht die reaktionäre Opposition unterstützen will, seinen Rücken zum Mittragen hergeben muß.

Zum erstenmal seit 1914 hat ein französischer Ministerpräsident die volle Loyalität einer deutschen Regierung anerkannt. Das ist, besonders nach diesem letzten sehr trüben Jahre, ein ungeheurer Fortschritt und wird sich auch weiterhin auswirken, selbst wenn Herr Briand, der nun wieder der »gerechte Aristides« geworden ist, schließlich doch einem Scherbengericht der Poincaré-Clique zum Opfer fallen sollte. Daß diese günstige Stimmung erhalten bleibt, ist die vornehmste Pflicht deutscher Politik. Es gilt, die deutsche Wirtschaft fähig zu machen, die Milliardenlasten zu tragen; aber die Voraussetzung eines zeitgemäßen Wirtschaftsprogramms ist die radikale Entseuchung des Landes, die Erledigung gewisser politischer Querelen, die das Volk gespalten und das äußere Bild des Reiches zu einem so traurigen gemacht haben. Die Entwaffnungsfrage spielt nun seit mehr als Jahresfrist die Rolle der Leiche im Keller, und keine Regierung wagte, die endgültige Bestattung vorzunehmen. Das Kabinett Wirth als erstes hat gewagt, den Stier bei den Hörnern zu fassen und alle demokratischen Elemente im Lande sollten es sich ganz dringend angelegen sein lassen, die Regierung zu unterstützen in ihrem Kampfe gegen den neuesten Freischärlerunfug. besonders da auf manche amtliche Stelle leider kein besonderer Verlaß ist und die Versuche nicht ausbleiben werden, die Maßnahmen der obersten Stellen zu durchkreuzen. Vielleicht hat die Verhaftung einiger dieser Bandenführer einigermaßen abschreckend gewirkt. Es war allerdings höchste Zeit, denn schon drohte aus der Korfanty-Affäre in Oberschlesien eine Orgesch-Affäre zu werden, und selbst England schien daran zu gehen, seine Maßnahmen einer veränderten Sachlage gemäß umzustellen. Das jedenfalls ist verhindert worden. Dennoch ist die Gefahr nicht vorüber, so lange der bayerische Brandherd besteht. Die Regierung Kahr schwankt und zaudert, ihr ist längst unheimlich geworden bei ihrer Courage, sie ist nicht mehr als die Strohpuppe der in Bayern in Wahrheit regierenden Kappisten. Die aber werden nicht nachgeben, auch wenn Herr v. Kahr in den nächsten Tagen sich doch zu einer Entwaffnungsorder aufraffen sollte. Sie werden, wenn nicht offenen Widerstand, so doch neue Umgehungsversuche ins Werk setzen und für ihr Lieblingsgeschöpf, die Einwohnerwehr, sich nach neuem Namen umsehen. Die Reichsregierung wird mit aller Schärfe auf ihrem Willen bestehen müssen, wenn nicht alle Vorteile, die die Unterzeichnung des Ultimatums bisher gezeigt hat, illusorisch gemacht werden sollen. Das freiheitliche Deutschland hat die Pflicht, in achtungheischender Geschlossenheit es sich zu verbitten, daß die Reichspolitik sabotiert wird durch einen kleinen größenwahnsinnig gewordenen Etappenpascha wie Herrn Escherich, mit einem Klüngel von partikularistischen Winkelpolitikern und beschäftigungslos gewordenen Militaristen hinter sich.

In der nächsten Woche wird vor einem Sondergericht in Berlin verhandelt werden gegen Herrn Brandler, den Vorsitzenden der V.K.P.D. Ergibt die Verhandlung, daß er seine Hand hatte in dem Arrangement des mitteldeutschen Aufstandes, so wird die Strafe, die ihn trifft, gerecht sein. Ein bitterer Nachgeschmack aber wird bleiben, wenn Herr Escherich, dessen Torheiten seit einem Jahr und länger unsere Außenpolitik erschweren und fast den Verlust Oberschlesiens und die Besetzung des Ruhrreviers zur Folge gehabt hätten, noch weiterhin in der königlich bayerischen Freiheit sein Unwesen treiben darf. Was Herrn Brandler recht ist, das ist Herrn Escherich nur billig. Keine von seinen großmäuligen Versicherungen hat sich erfüllt. Die Orgesch-Trupps in Oberschlesien haben durch ihr Verhalten bewiesen, (falls das überhaupt noch zu beweisen war!) daß wir es hier nicht mit einer politisch neutralen Selbstschutzvereinigung zu tun haben, sondern mit einer monarchistisch-radauantisemitischen Kampforganisation gegen das republikanische Deutschland. So bedauerlich an sich die Zwischenfälle auf dem Transport und in schlesischen Städten waren, – es ist doch erfreulich, daß darüber endlich vollkommene Klarheit geschaffen wurde. Dr. Wirth gibt sich über die Schwierigkeiten der Situation keinen Illusionen hin. Das freiheitliche Deutschland hat die Pflicht, ihm zu helfen und seinen Willen zu stählen. Zum erstenmal hat der unerhörte außenpolitische Druck für eine Weile aufgehört, zum erstenmal bietet sich für uns Gelegenheit, endlich jene Wunden im Innern zu behandeln, die durch Hilflosigkeit und Zaghaftigkeit zu giftigen Schwären geworden sind.

Berliner Volks-Zeitung. 28. Mai 1921


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