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Führer und Schieber
Noch ein Nachwort zum Jagow-Prozeß

In Zeiten geistiger Epidemien verliert die Politik den redlichen Charakter, und gleich bunten, giftigen Sumpfpflanzen schießen die volksverderbenden, sinnverwirrenden Phrasen üppig in die Halme. Die verschiedenen Rechts- und Linksputsche und der Anklang, den sie unzweifelhaft in weiten Kreisen des Volkes fanden, bezeugen traurig genug, auf wie fruchtbaren Boden auch die verblasensten Ideologien fallen.

Vielleicht mag auch jener Parteikonstellation, die das Amnestiegesetz vom 4. August 1920 schuf, etwas Ähnliches vorgeschwebt haben. Man übersah nicht das Verbrecherische des Kapp-Putsches, aber schloß die zahllosen Teilnehmer und Helfer, die »Geführten« und »Verführten« von der Strafverfolgung aus. Die »Führer« blieben von solcher Gnade ausgenommen. Und Herr Dr. Heinze, zu jener Zeit Reichsjustizminister, definierte das in folgender Weise: »Derjenige, der die Gesamtaktion, das Zentralunternehmen, veranlaßt oder geführt hat, ist von der Amnestie ausgeschlossen.«

Der Reichstag hat damals ohne Zweifel, verbreiteten Stimmungen Rechnung tragend, die weiße Fahne aufpflanzen wollen. Juristische Haarspalterei hat die löbliche Absicht verhindert. Die armen »Verführten« statteten ihren Dank in Form neuer Wühlereien und Hetzereien ab, und diejenigen, die aus schwer erfaßbaren Gründen mit Führerruhm bedeckt wurden, verblieben in Schweden, Budapest und – München und werden von der Rechtspresse noch heute als edle Märtyrer ihrer Überzeugung gefeiert. Die Geste des Reichstages war unvollkommen und wurde deshalb als Schwäche, als Ausfluß geheimer Furcht gewertet.

Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder war zu sagen: das ganze Unternehmen ist entstanden auf Grund einer geistigen Verwirrung, an der wesentliche Schichten des Volkes teilhatten; war also eine Bewegung, die noch niemals mit den Mitteln der Justiz wirksam bekämpft worden ist. Oder aber, man hätte alles, was an »Prominenten« der Verschwörung noch vorhanden war – und es war genug vorhanden! – rücksichtslos packen und vor den Richter stellen müssen.

Der Reichstag beruhigte sich bei der Nominierung einiger »Führer«, die zudem hübsch sicher und unerreichbar fern von Madrid ihm eine lange Nase drehten; die paar aber, die geblieben waren, so kalkulierte man wahrscheinlich, würden nicht so bald ernsthaft behelligt werden, da der deutschen Justitia kaum nachzusagen ist, daß sie die Verfolgung solcher Verbrecher auf Rädern betreibt.

So mußte also etwas höchst Unerquickliches daraus werden, als unter dem Druck der öffentlichen Meinung das Verfahren gegen Jagow endlich in Fluß kam; und es ist kein Wunder, daß der Ausgang nirgends befriedigt.

Die Schuld liegt nicht beim Reichsgericht, sondern beim Reichstag. Das Reichsgericht hat eine sehr ernste Arbeit geleistet und namentlich mit viel Subtilität die Fäden der Vorgeschichte bloßzulegen versucht. Es ist indessen kaum teilweise gelungen.

Herr v. Jagow zierte die Anklagebank. Aber vor dem Zeugentisch standen Zivilisten und Militärs, die er mit berechtigter Bitterkeit betrachten konnte. Häufig lag ein tiefer Schatten von Ungerechtigkeit über der Situation. Was hatte er anderes getan als sie? Er hatte sich zu verantworten und Strafe zu erwarten, und sie erzählten mit gewinnendem Lächeln Anekdoten von der babylonischen Verwirrung in der Reichskanzlei.

Herr v. Jagow ist gewiß einer der Eingeweihten gewesen und wurde auch sofort mit einem Ministerposten ausgezeichnet. Aber ist Herr v. Jagow selbst in seinen Kreisen eine so autoritative Persönlichkeit, wirkt er im Vortrupp einer Bewegung als Signum, als Fanal? Ohne seinem Selbstgefühl zu nahe zu treten, – seinetwegen gab es sicherlich nicht den gewaltigen Andrang in der Wilhelmstraße. Und um Kapp und Lüttwitz mit eigenen Augen regieren zu sehen, haben sich wohl auch nur wenige zu dieser Wallfahrt entschlossen. Was bedeuteten die alle neben dem bescheidenen ämterlosen Privatmann, gegen das wohlgehütete öffentliche Geheimnis der ganzen Aktion: den Diktator L.?!

Es ist eine alltägliche Klage heute, daß wir überall mehr Schieber haben als Führer. Auch beim Kapp-Putsch kam es mehr auf die Schieber an als auf die »Führer«, d.h. auf diejenigen, die entweder aus Eitelkeit oder weil sie sich von guten Freunden breitschlagen ließen, ihren Namen hergegeben haben.

Durch die Konstruktion eines besonderen Führerbegriffs ist die Aufzeigung letzter und tiefster Zusammenhänge verhindert worden. Personen wandelten als Episoden vorüber, deren wirkliche Rolle mehr geahnt als bewiesen werden kann; und viele sind vermutlich überhaupt nicht genannt worden.

So bleibt als das einzige Positive der langen Verhandlung der beruhigende Umstand, daß nun eine strikte Entscheidung des Reichsgerichts vorliegt, wonach die Verfassung der Republik durch den Hochverratsparagraphen geschützt wird. Wer also künftighin mit Waffengewalt in das Regierungsviertel eindringt und Haftbefehle gegen die Minister ausstellt, muß sich darüber klar sein, daß das kein legaler Akt ist, sondern daß es eine Kollision mit dem Hochverratsparagraphen bedeutet. Bisher lag ja nur die eine, nicht gerade sehr erquickliche Entscheidung vor, daß sich die Männer des neuen Regimes durch ihren Amnestieerlaß selbst für ihre Teilnahme am Novemberumsturz Straffreiheit gesichert hätten.

Von dem traurigen menschlichen Eindruck, den die kleinen Brutusse durchweg machten, sollte man sich einen aufklärenden Einfluß, der der neuen Staatsidee zugute käme, nur in sehr bescheidenem Maße versprechen. Für die Reaktion genügt es, daß sie die Republik demolieren wollten. Die schlecht ins Werk gesetzte Absicht gilt für die Tat. Und der sächselnde Oberfinanzrat, der wütend davonging, weil ihm die Kappisten noch viel zu zahm waren, wird den Ruhm eines verhinderten Cheruskerhäuptlings genießen, der die Befreiungsschlacht nicht schlagen wollte, weil an diesem Tage der Teutoburger Wald nicht morastig genug war.

Berliner Volks-Zeitung, 23. Dezember 1921


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