Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

102

Jeanne d'Arc am Rhein
Ein untaugliches Suggestionsmittel

General Mangin hat in der französischen Garnisonkirche in Mainz eine Statue der Jeanne d'Arc aufstellen lassen. Das ist weiter kein Wunder, da nach Anatole France »die Frömmigkeit, diese Tochter des Himmels, zu ihrem irdischen Aufenthalt die Herzen der Generäle der dritten Republik vorzugsweise erkoren hat«. Bemerkenswerter ist, daß ein Zivilist wie Herr Maurice Barrès daran die überschwänglichsten Hoffnungen knüpft. Das Mädchen von Orleans wird ihm zum Werkzeug der » friedlichen Durchdringung« der Rheinlande. Er glaubt, daß durch den Jeanne-d'Arc-Kult rheinische Katholiken dem Separationsgedanken zugeführt werden können und konstatiert bereits heute eine katholische Bewegung zu diesem Zwecke, »daß deren lateinischer Charakter unverkennbar ist«. Und: »Jeanne ist den Rheinländern Nachbarin und wesensverwandt. Unter ihrem Banner können sie unter Beibehaltung ihrer rheinischen Fahnen zur Selbsterkenntnis kommen und sich befreien...«

*

Herr Barrès, ein vielfach gesalbter Chauvinist, hat sich schon oft von seiner tropisch wuchernden Imagination irreführen lassen, und es wird ihm diesmal kaum besser ergehen. Jeanne ist auch den Westdeutschen nicht »wesensverwandt«, sie ist durchaus Angelegenheit der Franzosen. Und nicht einmal aller Franzosen; ihr Kult beschränkt sich auf das klerikale Frankreich; sie ist insbesondere die verhätschelte Modeheilige der neukatholischen Strömungen in der jüngsten Literatur. Das Frankreich der Aufklärung, von Voltaire bis Anatole France, hat sie immer sehr skeptisch behandelt, hat sie entweder zu einer halb mythischen Figur gemacht oder zu einer armen Hysterica, einer Marionette am Bande intrigensüchtiger Klüngel. (Der böse Voltaire gar degradierte sie zur zweifelhaften Heldin einer zotenreichen Satire.) Wie die historischen Unterlagen auch sein mögen, immerhin ist das lothringische Bauernmädchen durch Schiller jedem Deutschen vertraut geworden. Aber da tritt schon ein fundamentaler Unterschied zutage. Schiller vermenschlicht seine Johanna, bringt sie in die Sphäre sittlicher Konflikte, läßt schließlich ihren heldenhaften Willen an den Geboten ihres Blutes scheitern. Die französische Jeanne ist kaum mehr Weib; ein hieratisch strenges Bild, ein Triumph der Askese, und des romanischen Fanatismus. Ein Hauch von Inquisition umwittert sie. Auch ein strenggläubiger Deutscher wird mit ihr ebensowenig anfangen können, wie etwa ein französischer Katholik, der ins Elsaß kommt, mit der heiligen Odilia.

*

Wenn wir hier von einem Versuch berichten, mit Hilfe religiöser Suggestionsmittel politische Ziele zu erreichen, so geschieht das in der Absicht, unsern Lesern ein Kuriosum bekannt zu geben. Beabsichtigt wird nicht, irgendeiner deutschen Propagandastelle Mut zu machen, nun etwa mit einer Gegenheiligen auf dem Plan zu erscheinen – oder ein paar Dutzend Kultur-Talbots mobil zu machen, die ihren Ritterschlag einst in den Ostmarken empfangen haben. Jeanne fühlt sich nicht heimisch auf fremder Erde und wird eines Tages ihr Rößlein säumen und in die heimische Kathedrale zurückkehren ...

Berliner Volks-Zeitung. 14. Januar 1921


 << zurück weiter >>