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Sonnenwende

Das letzte Jahr hat lebhafte Auseinandersetzungen zwischen den beiden großen Richtungen der evangelischen Kirche gebracht. Auch die Außenstehenden nahmen an diesen Streitigkeiten regen Anteil. Nicht der dogmatischen Momente wegen. Aber die staatsrechtliche Seite dieser Konflikte mußte interessieren, und die ehrlich demokratischen, freidenkerischen Elemente Deutschlands erhoben lauter und entschiedener als je ihren Ruf, endlich das Grundübel zu beseitigen, die Kirche vom Staate zu trennen. Daß diese Bewegung so gefährliche Formen für die Orthodoxie angenommen hat, ist in erster Linie der Ungeschicklichkeit der kirchlichen Behörden zuzuschreiben. Bis dahin lebten die Orthodoxen und die Liberalen zwar nicht einträchtig, aber doch höchstens in einem harmlosen Kleinkrieg nebeneinander. In der Öffentlichkeit waren sie manchmal nur schwer zu unterscheiden. Die Positiven hatten ihre Kirchenblättchen und Traktätchen, die Liberalen ihre »Christliche Welt«. Dem Oberkirchenrate blieb es vorbehalten, die Fackel des Parteihaders in das protestantische Lager zu werfen. Die Fälle Jatho und Traub ließen keinen Zweifel darüber, daß sich in der evangelischen Kirche eine Art Katholizismus breit macht, auf den aus dem freidenkerischen Lager (von Horneffer und anderen) schon lange hingewiesen worden war. Das Streben, die Gesinnungen zu uniformieren, ist das alte Kennzeichen pfäffischer Herrschsucht. Wie der Oberkirchenrat vorgegangen ist, das ist sattsam bekannt. Namentlich Traubs Aburteilung trägt für alle Zeiten das Stigma schlimmster Tendenzjustiz. Traub ist aber nicht mundtot gemacht. Er hat mit der Broschüre »Staatschristentum oder Volkskirche«, mit der Gründung des »Neuen Protestantenvereins« bewiesen, daß er den Dienern am Wort noch recht lange und viel Unbehagen bereiten wird. Er verwirft die Staatskirche und fordert freie Gemeinden. Der Drang nach Freiheit war der Ursprung des Protestantismus. Seine Grundlagen sind eben Freiheit der Gesinnung, Freiheit der Lehre, Religion als Herzenssache. Jede Gesinnungspolizei ist abzulehnen.

Ähnliche Gedanken kommen seit den Tagen Kalthoffs aus dem »Monistenneste« Bremen. Hier hat man zuerst in die Praxis umgesetzt, was bis dahin graue Theorie war. Hier hat Felden mit seinen glänzenden Ibsenpredigten die Enge althergebrachter Kultformen durchbrochen. Schließlich geschah nur, was in anderen protestantischen Ländern längst Brauch ist. Ich habe einmal von einem kleinen holländischen Dorfpfarrer reden hören, der seiner Predigt ein Thema von – Oscar Wilde zu gründe legte. Und zwar jenes tief sozial empfundene Märchen vom »Glücklichen Prinzen«. Es hat sich gewiß stärker in das Gemüt der Hörer eingegraben als die fremde Weisheit toter Zeiten.

Der religiöse Radikalismus der Traub, Felden, Steudel und anderer hat aber in der Kirche selbst wenig Nachfolge gefunden. Allerdings bekämpfen die Liberalen den Dogmatismus; aber in der Kardinalfrage: der Trennung der Kirche vom Staat ist ihre Haltung schwankend oder gar ablehnend. »Kämpfen wir in der Kirche für die Freiheit der Kirche!«, so lautet ihre typische Ausflucht. Viele, die vom Liberalismus eine Reformation erwartet hatten, wandten nun enttäuscht und verärgert der Kirche ganz den Rücken. Hinzu kommt, daß das theoretische Rüstzeug der liberalen Theologen durch die sogenannte »mythologische Bewegung« ganz bedenklich gelitten hat. Die liberale Theorie, die sich durchweg auf der von Harnack vorgezeichneten Linie bewegte, hat ja die meisten Dogmen und auch die Gottheit Christi so ziemlich preisgegeben. Der Mensch Jesus war der Mittelpunkt ihres Systems. Er war kein Gott, aber eine wunderbar ausgeglichene Persönlichkeit, ein Vollmensch. Mit diesem Jesus steht und fällt das liberale System. Denn was bleibt vom Christentum noch übrig, wenn die historische Grundlage der Jesusgestalt als unzureichend gekennzeichnet würde? Die Zweifel haben sich eingestellt. Viel kritisches Material ist gesammelt. Die Anklage ist formuliert. Die historische Echtheit der biblischen Jesusgestalt, wie sie die Liberalen so gutgläubig übernommen haben, ist mit Fug und Recht angefochten worden. Drews mit seinem epochemachenden Buche von der Christusmythe war der erste in Deutschland, der unsanft an der einzigen Säule des kirchlichen Liberalismus rüttelte. Der Engländer Robertson Robertsons »Geschichte des Christentums«. Neuer Frankfurter Verlag, Frankfurt a.M. war ihm schon vorangegangen. Beide stellen die Geschichtlichkeit Jesu überhaupt in Abrede und leiten die Entstehung des Juden-Christentums aus alten messianischen Kulten her. Vieles ist an dieser jungen Wissenschaft natürlich noch hypothetisch. Ihre Bedeutung liegt eben darin, daß die mythologische Kritik, der die liberalen Theologen das alte Testament bedingungslos ausgeliefert hatten, nunmehr auch vor den Evangelien nicht mehr Halt macht. »Der Kampf gegen die Kirche ist zu allen Zeiten der Geistesgeschichte ein Anzeichen tieferen religiösen Lebens gewesen.« ( Wilhelm Bölsche.)

In der Tat bildet sich eine neue unkirchliche, unchristliche Religiosität. Sie hat kein Dogma und ist in keine Formel zu bringen. Gemeinsam haben ihre Anhänger nur einen starken Diesseitsglauben und sozial-ethische Ideale. Was während der letzten zehn Jahre auf dem Gebiete der ethischen Kultur getan wurde, das wurde, wenn nicht von der Sozialdemokratie, von den Freireligiösen, den Monistenbündlern oder wie sie sich sonst nennen mögen, getan. Der Staat hat überall nur den Störenfried gespielt. Kulturelle Dinge tangieren ihn nicht. Dafür hat er seine schwarze Gendarmerie.

Die Verquickung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten ist ein Krebsschaden unseres Kulturlebens. Sie lastet wie ein Bleigewicht auf unserem Schulwesen. Die Trennung der Kirche vom Staat wird kommen. Jeder Einzelne hat das Mittel dazu in der Hand. Austritt aus der Landeskirche ist die wuchtige Waffe, deren Bedeutung erst in unseren Tagen wirklich erkannt worden ist. Der organisierte Kirchenaustritt kann aber auch im politischen Kampfe Verwendung finden. In Nr. 19 des Frankfurter » Freien Worts« ist darauf hingewiesen worden, daß man durch Massenaustritt aus der Landeskirche von der preußischen Regierung eventuell eine neue Wahlrechtsvorlage erzwingen könne. Das ist ein Vorschlag, der in unseren demokratischen Kreisen ganz besondere Beachtung zu finden verdiente.

Die Lage der evangelischen Orthodoxie ist prekär. Auch an die Pforte des Klerikalismus, den das Zentrum bei uns vertritt, ist in letzter Zeit recht unsanft gepocht worden. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, gehen wir einer großen Auseinandersetzung entgegen. Als zwei große Heere werden sich die Diesseits- und die Jenseitsgläubigen gegenüberstehen. Es wird ein schwerer Kampf werden. Riten, Mythen und Dogmen werden dabei in Scherben gehen. »Religion ist Privatsache«, so heißt es, wenn es jemand wagt, im politischen Kampfe den »alten Glauben« anzutasten. Dann schwärmen auf einmal die berufsmäßigen Terroristen für Toleranz. Einen Kulturkampf mit allen Mitteln königlich-preußischer Polizeischäbigkeit wird gewiß kein Demokrat wünschen. Aber das Zentrum ist nur auf kulturellem, nicht auf politischem Gebiete mit Erfolg zu bekämpfen. Es lebt ja nur durch die Verfilzung von Religion und Politik. Ihm dient im politischen Kampfe der »Glaube« als schützender Schild. Die evangelische Orthodoxie macht es kaum besser. Wer aber einen Schild mit ins Gefecht nimmt, der darf nicht klagen, wenn er ramponiert wird.

Die freie, weltliche Schule muß die erste Etappe in dem großen Emanzipationskampfe sein. Die Rückschrittler aller Färbungen wissen genau, warum sie hier jeden Fußbreit nur nach einem verzweifelten Kampfe hergeben. Wenn die Seele der Jugend nicht mehr reaktionär infiziert wird, wenn keine Knechte mehr erzogen werden, dann ist ihr Schicksal besiegelt.

Es wird Zeit, daß Michel sich den Schlaf aus den Augen reibt. Es ist das Geheimnis des Erfolges der Mächte der Vergangenheit, daß sie rücksichtslos alle Chancen ausnützen und nicht so schlafmützig sind, wie sie gern erscheinen wollen.

In den Zeitungen läutet man, wie alljährlich, die Osterglocken und verkündet das Evangelium einer großen Harmonie. Wir wissen, was wir von diesen feierlichen Anwandlungen zu halten haben. Wachrütteln ist unsere Aufgabe und nicht beschwichtigen. Unser Ostergruß heißt das deutsche Volk, aus seinem Winterschlaf erwachen und mit freiem, weitem Blicke endlich die Leitung seines Geschicks selbst in die Hand nehmen. Versteht es unser Volk, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten, so darf es die schönste Sonnenwende feiern. Vor ihm liegt ein fröhlicher Lenz!

Das freie Volk, 22. März 1913


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